Rechenmahl 2018 (Benjamin Steiner)

Vorfreude

Getreu dem generellen Trend präsentiert sich das Wetter auch am Abend des 10. Novembers 2018 spürbar zu warm und zu trocken für die Jahreszeit. Trocken sind auch die Kehlen der Hottinger Zünfter nach der 122. Ordentlichen Generalversammlung und so genehmigen sich die meisten Anwesenden ein kühles Bier, während die Vorsteherschaft die Gäste in der Bilgeri Stube begrüsst. Die GV ist offenbar ohne besondere Vorkomm- nisse verlaufen und man nutzt die Gelegenheit, das zu Ende gehende Zunftjahr noch einmal Revue passieren zu lassen. Die Stimmung ist entspannt und man ist voller Vorfreude auf den gemütlichen, zoiftigen Abend.

Grosszügige Gesten und klare Anweisungen

Gemächlich bahnen sich die gut gekleideten Herren, mit kurzem Blick auf die vom Stubenmeister ausgetüf- telte Tischordnung, zielstrebig den Weg zu ihren Plätzen. Punkt 18 Uhr erhebt sich zum ersten Mal an diesem Abend die Rechenmahlgesellschaft, um der Vorsteherschaft und den Ehrengästen und Gästen der Zunft beim festlichen Einmarsch den gebührenden Respekt zu zollen. Stubenmeister Martin Schmitt begrüsst die Runde auf gewohnt charmant und zugleich bestimmte Art und auch die Gäste präsentieren sich stilsicher mit der obligaten rechtsdrehenden Pirouette mit abschliessender Verneigung vor dem ehrenwerten Herrn Zunft- meister.

Der erste grosse Applaus an diesem Abend gilt Rudolf Gitzelmann, der zur Feier der Aufnahme seines Sohnes den gesamten Wein spendiert. Diese grosszügige Geste zeugt vom Stolz, den ein Vater empfinden muss, wenn dem Sohn offiziell Einlass in diese enge Wertegemeinschaft gewährt wird. Grosszügig ist auch die Spende des Mitternachtsbiers durch Reiterchef Pedro Mor nach 20-jähriger Zunftzugehörigkeit und im Andenken an René Zeller, der zusammen mit ihm aufgenommen wurde. Die Zünfter kommen zu später Stunde dann auch Pedros Bitte nach, mit besagtem Bier auf René Zeller anzustossen.

Nach Vorstellung der Schankburschen und der unmissverständlichen Anweisung, seiner Glocke Folge zu leis- ten, verkündet der Stubenmeister seinen lang erwarteten Trinkspruch für den Abend:

«Wenn du einen Freund hast, und der hat gute Weine,
so sei oft bei ihm zu Gast, sonst trinkt er sie alleine»

Speis, Trank und Musik

Die als Hackbraten getarnte Gans festigt erfolgreich ihren Stammplatz im Rechenmahl-Menü und die voraus- gehende «Suppe vu gääle Bovèèrli mit Späckwürfeli vum Neumäärt Säuli» verleitet sogar zu Spekulationen über die genauen Ingredienzien. Sehr positiv wird auch die abschliessende süsse Verführung «Wiise Schoggimousse mit Holdereschliirgg uf Chüttenkompott.» bewertet.

Umrahmt wird der Abend einmal mehr stimmungsvoll und gekonnt vom Zunftspiel der Zunft Hottingen, der Harmonie Kilchberg, sehr adrett in ihren neuen Uniformen und unter neuer musikalischer Leitung durch Pawel Marciniak. Der Dirigent und Trompeter, der seine Ausbildung an Musikhochschulen in Polen, Deutschland, Bern und Zürich absolvierte, verleitet am Rechenmahl sein Publikum nicht nur mit dem Sechseläutenmarsch zu kräftigem Beifall.

Ehrenwerte Gäste der Zunft

Nach dem vorzüglichen Essen begrüsst Zunftmeister Marcus A. Gretener alle von der Zunft eingeladenen Gäste mit der passenden Ehrerweisung und wünscht ihnen einen gemütlichen Abend in der Hottinger Zunfts- tube. Ausdrücklich erwähnt werden dabei:

  • Herr Walter H. Käser, Zunftmeister der Zunft zu den Drei Königen, begleitet von Herrn Bendicht U. Stuber, Stubenmeister der Zunft zu den Drei Königen, sowie Herrn Andreas R. Bihrer, Zunftmeister der Zunft Witikon, begleitet von Herrn Dr. Beat Ehrensberger, Stubenmeister der Zunft Witikon. Die werten Herren wird er später noch ausführlich vorstellen.

  • Frau Christa Gabsa vom Kostümverein Zunft Hottingen und ihre Kollegin, Frau Corinne Zeller, die sich leider aus familiären Gründen kurzfristig entschuldigen musste. Die Zunft drückt ihnen grosse Wertschät- zung für ihr grosses Engagement und die Fachkunde bei der Realisation der neuen Zunftspiel-Uniformen aus.

  • Fritschivater 2018 und Ehrenfester Zunftmeister der Zunft zu Safran in Luzern, Alfred «Fredi» Meier mit seinem Begleiter, Zunftweibel Pascal Piffaretti. Nachdem sie mit ihrem Besuch bei der Zunft zur Waag die Junioren-Liga erlebt haben, sind sie heute Abend bei der Zunft Hottingen in der Champions League ange- kommen. Auch sie seien herzlich willkommen.

  • Herr Mark Jacob, Managing Director der Dolder Hotel AG. Mit seiner tollen Unterstützung ermöglichte er eine qualitativ hochstehende, stilvolle, herzliche und würdige, sprich «Hottinger-like» Ausrichtung des Sechseläuten-Balls.

  • Herr Nicolas Hausammann, Gastgeber beim diesjährigen Nachsechseläuten-Besuch des SPZ Nottwil, der alle Beteiligten tief beeindruckte.

Die Sprecher des diesjährigen Sechseläutens: Herr Roni Haug, Zunft Hard, Herr Robin Neuhaus, Zunft Höngg und Herr Dominik Hug, Zunft zu Oberstrass, sowie eine Dreierdelegation der Zürcher Singstudenten.

Reale Zusammengehörigkeit gegen Vertrauen auf Knopfdruck

Wir steigen zu Fremden ins Auto, buchen ein Bett bei Unbekannten, vertrauen Facebook mehr als etablierten Medien oder googeln lieber unsere Grippesymptome, anstatt zum Hausarzt zu gehen. Dabei profitieren Kon- zerne wie Apple oder Facebook von den ihnen von uns anvertrauten Daten und wurden damit zu den grössten Unternehmen und wertvollsten Marken der Welt. Ja, sind wir denn alle von Sinnen?

Mit dieser provokativen Frage steigt der Zunftmeister in seine diesjährige Meisterrede ein und erläutert über- zeugend, wie Vertrauen entsteht und wie Firmen gezielt versuchen würden, vertrauensvoll zu wirken, um uns gleichzeitig zu ihnen dienlichem, impulsivem Handeln animieren zu wollen. Obwohl unser Vertrauen mehrmals von diesen Tech-Giganten missbraucht worden war, nutzten wir diese Dienste aus Bequemlichkeit oder Mangel an Alternativen weiter. Unsere Gesellschaft sei dadurch apathischer geworden und wir schenkten Vertrauen aus Bequemlichkeit. Früher hätten wir vertikal, sprich Experten und Vorgesetzten vertraut, während wir heute horizontal, also der eigenen Vergleichsgruppe zum Beispiel in den sozialen Medien, vertrauten. Dies sei prob- lematisch, weil dadurch das Vertrauen in Institutionen wie etablierte Medien, Ärzte und Politiker schwinde und Menschen durch die Informationsflut und technischen Hilfsmittel die eigenen Fähigkeiten überschätzten. Im digitalen Zeitalter sei es wichtig, dem entgegenzuwirken und so erhebt der Zunftmeister seinen Zunftmeister- becher, um auf den verantwortungsvollen und differenzierten Umgang mit unserem Vertrauen sowie auf die Hottingergemeinschaft anzustossen, welche reale Begegnungen und den direkten Dialog fördere.

Das Fähnlein der «Acht Aufrechten»

Mit einer eingehenden Würdigung und grossem Dank wird Reto Boltshauser nach sechsjähriger Tätigkeit als Zeugwart vom Zunftmeister aus seinem Amt verabschiedet. Er sei ein Vorbild an zoiftigem Einsatz und so habe er nicht selten Nächte vor Grossanlässen im Schlafsack in der Zunft-Stube im Bilgeriturm verbracht. Ja man könnte sogar meinen, seine Wohnadresse sei im Neumarkt 5 in Zürich, so der Zunftmeister. Dementspre- chend lang fällt dann auch die Aufzählung seiner gemeisterten Aufgaben aus. Nach wohlverdientem Applaus dankt Reto Boltshauser der Vorsteherschaft für das Vertrauen und die Zusammenarbeit sowie den Gesellen für deren tolle Unterstützung.

Für die Ehrung der Veteranen ergreift Statthalter Michael Düringer das Wort und bittet die Jubilare, vor den Zunftmeistertisch zu treten. Es ist sehr beeindruckend, wie Walter Georg Vogel den Lähmungserscheinungen nach seinem im vergangenen Jahr erlittenen Schlaganfall trotzt, um die Ehrung für sein 60-jähriges Zunftjubi- läum persönlich entgegenzunehmen. Dies zeuge von eisernem Willen und grosser Tatkraft, so der Statthalter. Auch in seinem 93. Lebensjahr und nach 60 Jahren sei er immer noch ein stolzer, aufrechter und strammer Hottinger Zoifter und allen ein guter Freund.

In seiner bewegenden Rede äussert Walter Georg Vogel seine Dankbarkeit für die zwei Drittel seines Lebens, die er in der Zunft verbringen durfte. Es sei eine gute Zeit gewesen, während der viele wunderschöne Freund- schaften entstanden seien – ganz im Sinne des Leitspruchs der Zunft: «Freundschaft in der Freiheit». Und so tätigt er eine grosszügige Spende, um die Verbundenheit der Zunft zum grossen Zürcher Dichter Gottfried Keller und dessen Gedankengut aufrechtzuerhalten. Der Zunftmeister formuliert es sehr passend, als er sagt, wenn man ihn so sehe, müsse man das Fähnlein der sieben Aufrechten in die acht Aufrechten umbenennen.

Altvorsteher François Wartmann, Jean-Pierre Wartmann und Willy Looser werden für ihre 50-jährige Zunft- zugehörigkeit geehrt. Zwar könnten böse Zungen behaupten, wer 1968 einer traditionellen Vereinigung wie einer Zürcher Zunft beigetreten ist, an dem sei der Zeitgeist vorbeigegangen. Der vom Statthalter geschilderte Rückblick auf das private, berufliche und zoiftige Leben der Jubilaren widerlegt dies jedoch eindrücklich.

Ein gewisser «Revoluzzer-Geist» ist dann auch der Ansprache von Jean-Pierre Wartmann unschwer zu entneh- men. Sympathisch fasst er den zoiftigen Werdegang der drei Original-Hottinger zusammen. Im Kern von Hot- tingen geboren und aufgewachsen, durften sie schon früh am Zunftleben teilnehmen. Die Handwerker Fami- lien seien dannzumal sehr gut vernetzt gewesen und man sei auch oft im Jahr nebst den offiziellen Anlässen zusammengekommen. Einen grossen Lacher heimst er ein, als er den angenehmen Nebeneffekt dieser Ver- bundenheit mit dem Quartier erwähnt, nämlich die grosse Auswahl an attraktiven Töchtern. 1968 seien sie, im Gegensatz zum heutigen langen, hürdenreichen Aufnahme-Prozedere, mit offenen Armen in der Zunft emp- fangen worden und nur dank ihrer immensen Anpassungsfähigkeit sei es ihnen gelungen, sechs verschiedene Zunftmeister erfolgreich zu überstehen. Es sei eine extrem interessante und schöne Zeit gewesen, welche alle sehr schätzten und als grosses Privileg empfanden. Als Dank spendeten die Jubilare einen grosszügigen Beitrag an die Uniformen des Zunftspiels und geniessen ihren Schluck aus dem Zunftmeisterbecher.

Altzunftmeister Dr. Martin K. Eckert und Christian Trösch feiern ihre 25-jährige Zunftzugehörigkeit. Nach einem Blick in den damaligen Zunftrodel muss der Statthalter gestehen, dass die Frischlinge unter den Jubilaren heute doch nicht mehr ganz so frisch aussehen würden wie damals. Gemessen an ihrem zoiftigen Werdegang und zahlreichen Verdiensten während diesen Jahrzehnten sind allerdings keinerlei Verschleisserscheinungen festzustellen. Eindrücklich ist, wie beide auf ihre Weise die Zunft nachhaltig prägten. Zum einen Vollblutzünf- ter Dr. Martin K. Eckert, dem die Begeisterung für die Zunft, die Bereitschaft sich zu engagieren, sowie seine Schlagfertigkeit quasi schon in die Wiege gelegt worden seien. Seine Redegewandtheit, seine Trinkfestigkeit und sein eleganter Tanzstil mit steiler Karriere in der Zunft bis zum Zunftmeister, hätten ihn im zünftigen Zürich weitherum bekannt gemacht.

Zum anderen Christian Trösch, der seine Meinung klar zu vertreten wisse, auch wenn sie nicht dem Mainstream entspreche, und auf wichtige Themen wie Nachhaltigkeit aufmerksam mache. Ebenfalls stets engagiert im Hin- tergrund als ehemaliger Kostümchef, wie auch an vorderster Front als Kanonier und früherer Kanoniergrup- penchef machte auch er sich ausserhalb der Zunft einen Namen, besonders bei den Zuschauern links und rechts am Strassenrand.

Unter grossem Applaus nehmen sie ihren Veteranenbecher aus den Händen des Zunftmeisters entgegen. In der Dankesrede nimmt Christian Trösch den gemeinsamen Werdegang ebenfalls auf und betont, wie sie dadurch eigentlich die ganze Bandbreite der Zunft abdeckten. So durchliefen sie alle Stationen der Zunft als Kinder beim Kinderumzug, als Schankburschen und Gesellen, bis hin zur Aufnahme vor 25 Jahren. Um sich für diese lange Zeit erkenntlich zu zeigen, spenden sie einen «rechten Batzen» an die Kostümgruppe.

Auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin dürfen abschliessend noch die vier Zünfter, die auf zehn Jahre Zunftzu- gehörigkeit zurückblicken können, vor den Zunftmeistertisch treten. Damit nicht nur der Zunftmeister, son- dern auch die gesamte Zunft modisch voranschreiten könne, spenden Martin Brogli, Jörg Röthlisberger, Toni Allemann und Jack Heuberger einen Beitrag an neue Krawatten, um den «Silbergrauen Servietten Umhang» zu ersetzen, was die Menge wiederum herrlich mit einem Zwischenruf quittiert: «Jetzt gibt es Foulards für alle!»

Sherpa sucht Toyboy

Zur humoristischen Vorstellung des ersten Ehrengastes, des Zunftmeisters zu den Drei Königen Walter Hein- rich Käser bedient sich der Zunftmeister Marcus A. Gretener dessen ehemaligen Position als Divisionsleiter der Steinfels Swiss AG, einem Produktionsbetrieb der Coop Gruppe für Kosmetikprodukte, zu denen unter anderem auch die Sherpa Tensing Linie zählt, um ihn mittels Vergleich mit Edmund Hillary als Sonnencremever- käufer und Looslis Sherpa zu betiteln.

In Zürich Wipkingen geboren und aufgewachsen, absolvierte Walter H. Käser nach der Primar- und Sekundar- schule die Lehre bei der Swissair, wo er seine Ehefrau Ursi kennenlernte. Dieser zollt der Zunftmeister den gebührenden Respekt dafür, dass sie es mehr als 50 Jahre mit Walti «ausgehalten» habe, ist aber ein wenig besorgt, weil er sein Verfalldatum anscheinend langsam erreicht habe – hat seine Frau doch erst kürzlich in einem Leserbrief an ein Magazin ihren grossen Gefallen an den abgebildeten Models zum Ausdruck gebracht. Wie es sich für einen guten Freund gehört, unterstützt der Hottinger Zunftmeister daraufhin tatkräftigt ihre Suche nach einem «Toyboy» und übergibt seinem Mitmeister zu diesem Zweck eine Ausgabe des Witiker Rüs- sels gefüllt mit Bildern eines gewissen Andi Bihrers.

Seine zünftige Karriere habe Walter Käser zum einen als Tochtermann seiner Ehefrau und zum anderen seiner Vorliebe, sich als Maskottchen zu verkleiden, zu verdanken, welche sich in seinem beruflichen Lebenslauf als Stellvertretender Verkaufsleiter bei Knorr (Stichwort Knorrli) und Marketingleiter bei der Friedrich Steinfells AG (Stichwort Bio&Softie) spiegle. Seine Verwunderung bekundet Marcus A. Gretener darüber, wie Walti mittels Storytelling versuche, einen mehrtätigen Zwischenhalt der Heiligen Drei Könige in Zürich Enge zu konstruieren, sowie über dessen Unvermögen, ein Jahresbudget in der GV zu verabschieden. Letzteres ver- wundert umso mehr, ist doch sein Begleiter, Bendicht U. Stuber, der ebenfalls kurz vorgestellt wird, dipl. Treu- handexperte und zugelassener Revisionsexperte.

Mit der formgerechten Begrüssung ergreift der liebe Mitmeister das Wort und ist erfreut, dass es in dieser dunklen Stube wenigstens noch ein paar helle Köpfe hat. Da die Wurzeln der Zunft zu den Drei Königen bis zu Christi Geburt zurückgehen würden, übereicht er Marcus A. Gretener die wertvollen Gaben Gold, Weih- rauch und Myrrhe. Marcus habe getreu seiner Erfahrung als Kommunikationsprofi bei seiner Vorstellung alles Unwesentliche gesagt und alles Wesentliche vergessen, sprich geschickt «Fake News» verbreitet.

Nach einem kurzen Seitenhieb gegen den zur Überraschung aller persönlich anwesenden «Phantom Zunftmeis- ter» der Zunft Witikon, bekundet er sein Mitleid gegenüber der Zunft Hottingen, weil es im Quartier wirklich nichts Erwähnenswertes gäbe, nicht mal das Zunfthaus sei auf eigenem Boden und das schönste an der Kreuz- kirche sei der Blick auf ihre Kirche Enge. Streng genommen sei die Zunft Hottingen ja eigentlich ein «Spin Off von der Kämbel», da sie bei ihrer Gründung auf die «ungeschicktesten Kämbel-Zünfter» zurückgreifen musste. Auch Gottfried Keller sei eigentlich ein Konstaffler gewesen der lediglich seine letzten «nicht lebenswerten» Jahre im Quartier verbrachte und darum auch kurz darauf verstarb.

Zum Abschluss verweist Walter Käser auf den Landesgeneralstreik, der auf den Tag genau vor 100 Jahren ausgerufen wurde, und dessen Auswirkungen. «Wir sollten stolz darauf sein, wie sich unser Vaterland und un- sere zoiftige Freundschaft entwickelt hat, ganz nach der Devise der Zunft: «Freundschaft in der Freiheit» – und übergibt damit dem Zunftmeister Marcus A. Gretener eine Flasche ihres Zunftweins.

Phantom im La Martina Shirt

Bei der Vorstellung des zweiten Ehrengastes und Göttibuebs der Zunft Hottingen, Herrn Andreas R. Bihrer, Zunftmeister der Zunft Witikon, bekundet der Zunftmeister Marcus A. Gretener seine liebe Mühe. Es sei sehr schwierig, Informationen über ihn einzuholen, denn es kenne ihn schlichtweg so gut wie niemand. Die monat- lichen Zunftmeister-Lunches beehre er nämlich nur äusserst selten mit seiner Präsenz. Den Witiker-Zünftern ergehe es da nicht anders, weil er seine Zunft meist von verschiedenen Jetset-Hot-Spots aus wie eine Art Fern- beziehung führe, sozusagen mittels «Management by Remote Control», und in seiner Kanzlei würden sie ledig- lich wissen, auf welcher High Society Party er sich gerade befinde, damit sie dies ihren Kunden in Rechnung stellen könnten.

Als fleischgewordenes Gala Heft tummle er sich seit Jahren unter den Reichen und Schönen und spiele passend dazu natürlich Polo. Dies entspreche glücklicherweise seinem mangelnden sportlichen Talent, müsse man dabei ja lediglich das La Martina Shirt überstreifen und den Rest erledige das Pony von selber. Dank seiner Heirat mit der Münchner Society-Lady Tatjana Hoffmann, man stelle sie sich in etwa vor wie Vera Dillier, sei er endgültig in der Schickeria angekommen und von seinem tiefergelegten Panamera in einen Bentley umgestie- gen. Vom Bentley sei es nicht mehr weit bis zum Rollator, was wiederum zur fortschreitenden Überalterung seiner Zunft passe. Folgerichtig empfiehlt der Zunftmeister bei der Vorstellung des Begleiters Dr. Beat Eh- rensberger, Stubenmeister der Zunft Witikon, dieser solle trotz bereits fünf Kindern, fleissig weiter produzieren, um Witikon zu entstauben.

Bei seiner Ansprache wird «das Phantom» seinem Ruf umgehend gerecht und beendet diese bereits wieder, nachdem er alle Gäste der Zunft Witikon begrüsst hat. Seiner Meinung nach wurde mit den geistig unerreich- baren Reden seiner Vorgänger schon alles gesagt.
Die Zugabe-Rufe aus dem Publikum bewegen ihn dann aber doch noch weiterzumachen und er bietet mit seinen spontanen Repliken einen weiteren Höhepunkt des Abends, immer wieder quittiert von lautem Geläch- ter und Applaus. Er bedankt sich für die «Märchenstunde à la Trudi Gerster» unseres Zunftmeisters, findet den Vergleich seiner Frau mit Vera Dillier jedoch etwas unverschämt – für ihn wäre Irina Beller angebrachter ge- wesen. Und mit der Aufzählung seiner Nebenbeschäftigungen hätte er auch den falschen Eindruck erweckt, so meinten nämlich fälschlicherweise alle im Saal, er würde tatsächlich auch arbeiten. Mit Bezug auf seinen Über- namen «Phantom» belehrt er seine Mitmeister, dass wenn man schon so lange Zunftmeister sei wie er und noch so jung, müsse man eben nicht an jedem «Seich-Anlass» teilnehmen.

Nichtsdestotrotz freue er sich, am Hottinger Rechenmahl teilnehmen zu dürfen. Er wäre zwar auch zum Mar- tini Mahl auf der Constaffel und Meise eingeladen gewesen, aber für einen lustigen Abend gehe man dort ja bekanntlich nicht hin. Einzig die dritte Einladung als Alternative zum heutigen Abend habe er sich kurz überlegt anzunehmen, nämlich für eine Goldene Hochzeit.

Wie Walti Käser als Langverheirateter wisse, laufe eine Ehe ja in folgenden drei Phasen ab:

  • Phase 1: Vor der Ehe, wo nur der Mann rede und die Frau zuhöre

  • Phase 2: Nach der Hochzeit, wo nur die Frau rede und der Mann zuhöre

Und die letzte Phase, wo beide reden und nur noch die Nachbarn zuhören würden.

Spätestens wenn man so lange verheiratet sei, kenne man auch den Unterschied zwischen einer Handgranate und der Ehefrau: «Bei beiden ist das Haus weg, wenn man den Ring auszieht.» Darum sei es wichtig, ab und zu auch nur unter Männern zu sein. Vor allen Dingen, da es statistisch erwiesen sei, dass die Mehrheit verheirateter Männer sowieso viel lieber nach dem Motto der Skilehrer leben würden: «Lieber zwei offene Schnallen als eine feste Bindung.»

Bei der Vorbereitung eines Zunftbesuchs beziehe man sich meist auf die bekannten Assoziationen, so Bihrer. Bei der Schmiden denke man an die schon fast militärisch perfekte Dreier-Kolonne, beim Kämbel an den wilden Ritt der Beduinen um den Böögg, beim Widder an die vielen Würste, die dort mitlaufen, beim Constaffel an die älteren Herren in ihren Strumpfhosen, bei der Meisen … da falle ihm gerade nichts dazu ein … und bei den Hottingern natürlich an die donnernde Artilleriekanone und das Fähnlein der sieben Aufrechten sowie das historische, als Theater stadtbekannte Zunfthaus. Man habe aber bemerkt, dass die Zunft Hottingen seit ihrem letzten Auszugs-Besuch bei der Zunft Witikon einen neuen Zunftmeister bekommen habe. «Vor neun Jahren unter Dr. Martin Eckert habt ihr noch Christina Liebherr mit auf die Witiker-Stube gebracht und so war we- nigstens noch etwas fürs Auge dabei. Und wer kam unter Marcus Gretener … der Karli Odermatt!»

Der langersehnte Tag

Mit Beschluss der Vorsteherschaft vom 25. Juni 2018 wurden Dominique Bohn, Sohn von Thomas Bohn, und Florian Gitzelmann, Sohn von Rudolf Gitzelmann, in die Zunft Hottingen aufgenommen. Nach einer kurzen Vorstellung durch den Statthalter überreicht der Zunftmeister beiden feierlich die Zunftabzeichen und offeriert ihnen einen Schluck aus dem Zunftmeisterbecher. Damit ist ihre Aufnahme mit allen Rechten und Pflichten feierlich besiegelt.

Florian Gitzelmann blickt in seiner Dankesrede auf die gemeinsamen Anfänge zurück. Nur noch Wenige in der Zunft könnten von sich behaupten, in Hottingen geboren und aufgewachsen zu sein, und so wären beide erst kürzlich vom Heimatschutz als schützenswert eingestuft worden. Vor 30 Jahren waren sie erstmals in der Kin- dergruppe beim Sechseläuten dabei und vor 15 Jahren standen beide als Schankburschen zum letzten Mal vor dem Zunftmeistertisch. Als Zunftgesellen wurden sie in einen Wertebund aufgenommen, in dem die Freund- schaft über das zoiftige Leben und den gesellschaftlichen Status hinausgehe. In der Zunft Hottingen werde man an dem gemessen, was man mache, und nicht an dem, was man meine zu sein. Sie seien sehr stolz darauf, heute sowohl das kleine, wie auch das grosse Zunftabzeichen zu erhalten, mit der festen Absicht, sich aktiv in das Zunftleben einzubringen. Sie bedanken sich für ihre Aufnahme und freuen sich auf die vielen schönen Stunden in zoiftiger Verbundenheit, ganz im Sinne der «Freundschaft in der Freiheit».

The Next Generation

Der Zunftmeister dankt im Namen der gesamten Zunft Phillip Schneider für seinen geleisteten Einsatz als Gesellenmeister. Er habe die nächste Generation von Zünftern erfolgreich nachgezogen und zusammenge- schweisst und sei für die jungen Gesellen stets ein Vorbild gewesen. Zur Erinnerung an die schöne Zeit und begleitet von grossem Applaus, nimmt er seinen wohlverdienten Altgesellenmeisterbecher entgegen. Seiner Gesellengruppe fällt an dem Abend auch die Ehre zu, unter der Leitung des Zunftgesellen Roman Zeller das Unterhaltungsprogramm zu gestalten. Überzeugend mimen sie zu später Stunde Fussballfans und wissen mit ihren Hooligan-Schnitzelbänken die Gästeschar zu unterhalten. Sie nutzen dabei die Gelegenheit, um ihren abtretenden Meister mit Fangesängen und einem Präsent gebührend zu verabschieden.

Dem neuen Gesellenmeister, Dominique Bohn wünscht der Zunftmeister viel Erfolg und noch mehr Geduld. Mit seiner ersten Amtshandlung heisst er daraufhin feierlich Simon Meier, Enkel von Dr. Felix Meier, in der Gesellengruppe willkommen. Da dieser an diesem Abend nicht nur seine Aufnahme in die Nachwuchsmann- schaft, sondern auch seinen Geburtstag feiert, gibt die Rechenmahlgemeinschaft für ihn natürlich bei einem kräftigen Happy Birthday ihr Bestes.

Singende Nachbarn

Wie im letzten Jahr nutzt der Zunftmeister die Vorstellung der Dreierdelegation der Singstudenten, um mittels Ausschlussverfahren ihren Sprecher zu ermitteln. Dabei scheint es den am wenigsten Geeigneten und am schlechtesten Vorbereiteten zu treffen. Der Fux aus der Romandie mit Chinesischen Wurzeln ist der deutschen Sprache allem Anschein nach nur bedingt mächtig und man ist sich nicht ganz sicher, ob er die Rede vorgängig überhaupt schon einmal durchgelesen hat, muss er nämlich meist selber frühzeitig über die Pointen lachen, die kurz darauf folgen.

Nichtsdestotrotz – oder vielleicht sogar genau deswegen – vermag er mit seinem sympathischen Akzent und seiner lockeren Art zu überzeugen und sichert dem Studentengesangsverein erfolgreich ihre Einladung für das nächste Jahr. Zu kontern fällt dem Zunftmeister in diesem Fall nicht schwer und er vergewissert sich sicher- heitshalber vorerst noch, ob ihn der Redner überhaupt verstehe.

Traditioneller Schlusspunkt

Der Zunftmeister dankt Stubenmeister Martin Schmitt, Zeugwart Reto Boltshauser, dem Neumarkt Küchen- und Serviceteam, den Schankburschen, dem Zunftspiel sowie allen fleissigen Helfern für ihren grossen Einsatz, welche diesen stimmungsvollen, geselligen Abend erst möglich machten.

Nachdem alle Tirggel verteilt sind und die Mitternachtsverpflegung genossen ist, schliesst der Zunftmeister ein gelungenes, amüsantes und emotionales Rechenmahl 2018 – mit dem traditionellen Gruss: «Ich wünsche der Obrigkeit, der Stadt, dem Land und allen Zünftern Segen, Heil und Wohlfahrt.»