Die alten Tage
Was Ritter Rudolf Brun 1336 mit dem Ersten Geschworenenbrief erreichte, führte zur Machtteilung zwischen Meliorat und Handwerkerschaft.
Im Laufe des 15. Jahrhunderts bildeten sich nach dem Vorbild des Adels innerhalb der Zünfte Trinkstubengesellschaften, die auch für den Bau und den Unterhalt der Zunfthäuser zuständig waren.
Bis zum Ende des Ancien Regimes im Jahre 1798 waren Zünfte umfassende Lebensgemeinschaften. Jeder Mann und jede Frau, die in der Stadt wohnte, musste einer Zunft angehören.
Unter dem Druck der französischen Besatzungsarmee brach 1798 der alte Zürcher Stadtstaat in sich zusammen. Napoleon kann als eigentlicher Geburtshelfer des modernen Zunftwesens bezeichnet werden.
Dank den „Überhöcklern“ welche sich auch nach der Abschaffung der Wahlzünfte im Jahr 1866, in der Geselligkeit pflegten, wurde das Sechseläuten als eines der einzigen traditionellen Feste beibehalten.
Das Verbrennen von Strohpuppen und der Tanz ums Feuer waren ursprünglich ein Strassenfest der männlichen Jugend. Erst 1892 kauften die Zünfte für 250 Franken der Nachbarschaft zur Kratz das Recht ab, das Sechseläuten mit dem Verbrennen der Puppe organisieren zu dürfen.
Die heutigen Tage
Die ersten Zeilen zu dieser Berichterstattung sind nicht nur für mein Verständnis sehr wichtig, sie sind auch so gewählt, weil sie bis in die heutige Zeit erwähnenswert bleiben und sich in der Moderne widerspiegeln.
So treffen sich auch heute noch Dachdecker, Ärzte, Maler, Anwälte, Architekten, Gastronomen und viele mehr, welche die Geselligkeit pflegen, gemeinsam zum Wiederaufbau und Unterhalt der Zunfthäuser beitragen als „Stubenhöckler“ im Hause Stellung halten und vereint bis in die Morgenstunden undurstig überhöcklen.
Die Tage davor
Meine ersten Tage vor dem Grossanlass machen sich mit der Ausmottung der Tenues aus dem Winterschlafsack bemerkbar. Wie ein Kleidermacher wird das geerbte, vielteilige Biedermeier-Kostüm auf Flecken und Falten geprüft, aufgebügelt und dann zum Auslüften der Frühlingsluft stolz präsentiert. Stets nach der Devise von Gottfried Keller: „Kleider machen Leute“.
Die Laterne, frisch vom Elektro Hickel abgeholt, leuchtet tadellos und dies erstmals mit Batteriebetrieb. Die ersten Angaben zu den löblichen Weinspendern aus dem Büro Hediger treffen ein.
Mein Vater bringt das zöiftige Wein- und Wasserlager auf das nötige Niveau. Dölfs Tischbestellungen aus dem Schreinerlager sind organisiert. Die legale Türkendemo durch, der Luftraum weiträumig gesperrt und Alexander Carl, der jüngste Meybohm frisch geboren, dann steht das hiesige Sechseläuten vor Zürichs Toren.
Die Wettervorhersagen (nicht von Kachelmann) werden immer ehrlicher und sie sollen uns in diesem Jahr ein warmsonniges, angenehmes Wintervertreibungs-Fest bescheren.
Wenn am Freitag der Gasthalbkanton den Weg auf die Festung Lindenhof gefunden hat, die Trachtenfrauen deftig nach feinem Landrauchschinken „schmöcken“ und Ruth Rohner, 60, aus Stans zu Protokoll gibt: “Ich habe keinerlei Beziehung zu Zürich. Ich war in meinem ganzen Leben erst zweimal da“, dann heisst es generell: „Es schön`s Sächsilüüte“.
Der Tag davor
Das Kaiserwetter steht fest. Die Vorfreude ist riesig und lässt sich am besten in den 2’800 Gesichtern der Kinder ablesen, welche sich, begleitet von Eltern, Mamis, Papis, Göttis und Helferkäfern zum Kinderumzug formieren und diesen gewohnt freudig abmarschieren. Klein Lou, unser Göttibueb läuft bei der Zunft zur Schmiden mit. Bestens eingekleidet mit Hemd, Beil und Lederschütze ist er jetzt schon so gross, dass er gar die Wildsau mittragen mag.
Ich überprüfe meine Garderobe: Das Hemd, die Hosenträger, die schwarze Halsschleife, der Zylinder, die gelackten Halbschuhe – alles ist bereit für den grossen Tag.
Es erfolgen letzte Instruktionen an den lieben Schwager Carlo Meybohm. Dieser ist Gast von Vater Jack und stolzer Vater des soeben geborenen Alexander Carl, der Ururenkel von Carl (nicht Karl) Meybohm, ein Gründungsmitglied der Zunft Hottingen anno 1897.
Und dann ab ins Bett so gegen zehn, so kann ich morgen ganz ohne Pause geh’n.
Der grosse Tag
Aufwachen 12 Stunden vor dem grossen Knall. Endlich Montag. Heute heisst es: “I like Mondays“!
Vor dem standesgemässen Einkleiden steht der obligate Rundgang in der Schreinerei an. Die Kleider sitzen wie angepasst und sonst wird es passend gezupft und die Träger vorerst mal schon enger geschnallt.
In kurzem Solomarsch schreite ich hinunter zum Zunfthaus am Neumarkt, vorbei an den ersten Frauen mit prallgefüllten Blumenkörben und den Sitzplatzkarten zwischen den Zähnen. Die ersten Kollegen, allesamt Freunde in der Freiheit, begrüssen sich mit: „Guete Morgä – es schön`s Sächsilüüte“. Kurz vor elf treffe ich dann auch Roger Würth zum „kurz vor Elfibier“. Ich strahle, er strahlt, es strahlt von überall her. Aus allen Gesichtern, genau wie gestern bei den Knirpsen. Viele lachen laut bis über beide Backen, vor echter Vorfreude, vor echter Freude, mit echten Freunden. Ein herrlicher, „zöiftiger Tag“ steht uns bevor, das wissen alle bevor es richtig losgeht.
Die Empfangsprozedur wird wie gewohnt straff und akribisch genau durch Herbert Hediger und seine Helfer erledigt. Keiner schlüpft unbemerkt hinein. Bestehen tatsächlich Zweifel, kann es auch mal vorkommen, dass man das Ticket zur Verifizierung aus dem Sack klauben muss.
Tisch 9, Mitte rechts vor den Schankburschen ist unser Tisch. Ein schöner Tisch gemischt mit bekannten Zünftern und Azubis wie ich einer bin. Die Würthsche Glocke ermahnt uns ein erstes Mal zur Aufmerksamkeit. Alle sind, und alles ist bereit.
Mit dem Trinkspruch: „Ein Mädchen und ein Gläschen Wein kurieren alle Not, drum wer nicht trinkt und wer nicht küsst, der ist so gut wie tot.“ nimmt jeder im Saal das Glas in die Höhe um vom blauroten Meilener Zunftwein zu kosten.
Kaum ist das Glas abgestellt, kommt die Zimmermanns Truppe in adretter Servicemanier. Mit einer Vorspeise, welche optisch auch an ein Dessert erinnert, starten wir eine kulinarische Reise mit ehrlichen Produkten von lokalen Produzenten.
Die Rede des Zunftmeisters Martin Eckert zum Thema Stadt und Land wird mit 500 Ohren richtiggehend aufgesogen. Die Ausführungen sind treffend, fehlerlos recherchiert und wie folgt zusammengefasst: Martin Eckert spricht von der A-Bevölkerung. Alte-Arbeitslose-Ausländer bei welchen der Steuerfuss keine Rolle spielt. Spricht die territorialen Grenzen an, welche verschoben seien, den Unterschieden und Gleichnissen zwischen den Bevölkerungsschichten im Lande, von Brückenbauern. Er redet von den tausenden Beamten in der Stadt Zürich, was man zweifellos als realitätsfremd bezeichnen darf, er plädiert für das wählbare Stimmrecht am Wohnort oder Arbeitsort, quasi ein mobiles Stimmrecht.
Der Zunftmeister meint, die politische Landschaft habe sich gegenüber Früher bemerkbar verändert. In der Stadt herrscht die linke auf dem Land die rechte Meinung. Nur mehr ein Viertel der Zünfter lebt noch in der Stadt. Die Verbleibenden haben an Stärke verloren und keine Mehrheiten mehr. Der politische Einfuss schwindet, ein eigentlicher Exodus findet statt. Die rhetorische Frage, wer die Mauch gut findet, geht irgendwie unter. Auf 26 Stuben sitzen zurzeit gegen 5000 Mannen. Wir zelebrieren die Freundschaft in Freiheit.
„Drum weilet, wo im Feierkleide ein rüstig Volk zum Feste geht. Und leis‘ die feine Bannerseide hoch über ihm zum Himmel weht!“
Mit diesem frohsinnigen Appell aus dem „Wegelied“ von Göpf Keller wird die Rede des hohen Ehrengastes, Regierungsrat Ernst Stocker, durch den geehrten Zunftmeister Martin Eckert angekündigt. Auch auf der Ehrengästeliste: Seine Omnipotenz Urs Haller, seines Zeichens Reichschultheiss des Reichsministeriums des Unüberwindlichen Grossen Rates zu Stans. Sowieso besticht die Gästeliste durch eine grosse Delegation des UGR zu Stans: Reichsschatzmeister, Seine Eminenz Leo Schallberger, Reichskanzler, Seine Exzellenz Michael Kohler und der Reichspannerherr, Seine Durchlaucht Beppo Odermatt.
Die Gästeliste beherbergt weitere interessante Gäste. Die graziöse Springreiterin Christina Liebherr, zwei beliebte Basler von der Zunft zum Himmel, Markus Grieder, Irtenmeister mit Hansruedi Heimoz, dem Sechser, und eine Dreierdelegation des Schweizerischen Zofingervereins.
Die Rede von Regierungsrat Stocker von der „Zunft zur absteigenden Sonne“ kam mir leider abhanden, den Anfang des ersten Satz konnte ich aber auf Papier retten: „Liebe Zünfterinnen und Zünfter!“ Des Zunftmeisters Eckerts Antwort war an Treffsicherheit nicht zu überbieten und hat zu lautem Lachen auf der Zunftstube geführt. Die Rede Stockers sei vergleichbar mit dem Spiel eines Tennisprofis. Er kämpfe auch um jeden Satz.
Nun wurde uns ein Schwiinig-Gmüesiger Eintopf mit dem Gourmetnamen „Nidwaldner Stunggis“ serviert. Ausgezeichnet und bestes Essen um kommende Anstrengungen zu meistern.
Eine grosse Anstrengung, natürlich mit grosser Freude verbunden, kam dann postwendend, als wir das schöne Seebuebenlied, mundart abgelesen, singen durften. Die echten Seebueben unter uns, von Schiffbruch weit entfernt, konnten die Töne auch nicht auf die Leiter heben. Es war eindrücklich zu hören, wie aus voller Kehle das Beste zum Besten gegeben wurde, als hätten wir im Vereinschörli ein ganzes Jahr geschwänzt.
Die Rede von Urs Haller, dem Wiibervogt, war kernig und kurzweilig abgelesen, wurde schliesslich mit einer passenden Feststellung durch den ZM kommentiert. Die Nidwaldner seien die Tschetschenen der alten Eidgenossenschaft, angeführt vom berühmtesten Nidwaldner, dem tapferen Winkelried.
Die Temperatur im Theatersaal stieg an. Die Fenster blieben wohlweislich geschlossen und die gute Stimmung vor dem Marsch, beseelte alle Tische. Reges Treiben zwischen dem bestimmten Glockengeläut. Der Stimmungs-barometer erreicht eine weitere Höchstmarke.
Die grosse Hottinger Kinderschar betritt den Saal, vorne mit dabei Konrad Eckert. Die Kinder von Martin Menzi bringen „ein Sprüchli“ vom Feinsten.
Als Martin den Sohnemann um eine Berichterstattung vom Besuch bei den Weggen bat, führte dieser den Auftrag kurz und bündig aus. Auf die Frage was es sonst noch so zu sagen gibt, meinte Konrad spitztrocken: „ Nichts mehr!“ Darauf erwidert Martin: „Das ist typisch wenn ein Eckert geredet hat!“
Das Zunftspiel, die Harmonie Kilchberg unter der Leitung von Stefan Roth spielt auf. Hühnerhaut macht sich breit, alle erheben sich achtungsvoll, nicht zuletzt um das letzte Sechseläuten von Stefan Roth als Spielführer der Harmonie würdig zu ehren.
Auch diese Ehrung wird durch den Zunftmeister mit einem Zürcher Tirggel und einem grossen Schluck aus dem Zunftmeisterbecher verdankt. Das feine Dessert erinnerte dann definitiv nicht an Vorspeise. Ein süsser Öpfeluuflauf mit Vanille-Zimtcreme und dazu eine Tasse tiefschwarzer Filterkaffe.
Zugführer Franz Saxer übernimmt das Zepter und bringt uns die wichtigen Details zum Umzug bei. Wobei es am Wichtigsten ist, dass wir in geordneten Fünferreihen ohne grössere Lücken marschieren und stehen sollen. An 25. und zweitletzter Stelle werden wir den Umzug unter die Füsse nehmen.
Das Zeichen zum Abmarsch erfolgt sogleich. Bei herrlichster Mittagssonne mischen wir uns unter unsere geduldig wartenden, mit Blumen und bunten Sträussen beladenen Frauen und Zunftfreunde vor dem Zunfthaus. Namen werden kreuz und quer gerufen, Kinder wollen ihren Papi finden und schlängeln sich durch die dicht gedrängte Menge.
Dann der schöne Moment, von Karin, meiner Frau, einen Kuss und Blumenstrauss zu erhalten und in die Arme genommen zu werden mit dem Wunsch: „Es schöns Sächsilüüte!“ Wir lachen fröhlich und ich erwidere die zahlreichen Begrüssungen durch meine Liebsten.
Ein kurzer Abstecher in die Schreinerei muss dann doch sein. Dort treffe ich meine lieben Freunde, welche sich zum Festtag, sehr gut organisiert, im Höfli bei Grillwurst und Prosecco eingerichtet haben. Freude unter Freunden zieht an diesem Tag weite Kreise.
Der Zug setzt sich um 15.15 in Richtung Limmatquai in Bewegung. Die Reiter reihen sich am Limmatquai stolz zu Ross in die Aufstellung ein und auch die drei reitenden Marketenderinnen machen eine gute Figur. Sie sind heute das erste Mal dabei und hatten früher die wichtige Aufgabe, die Truppen auf den Feldzügen mit Proviant und allerlei Grundlegendem zu versorgen.
Eine Truppe, diejenige welcher ich mich anschliessen durfte, musste sich aber erst einmal selbst versorgen. Dies gelang uns ohne grosse Hindernisse mit einem kühlen Blonden, draussen vor der Gräblibar. Die Zeit ging schnell vorbei und schon bald sahen wir uns in Reih und Glied auf der Bahnhofbrücke stehend wieder. Pamela auf den Rolleblades, welche wegen der besonderen Verkehrsführung ganz nahe am Umzug vorbeikurven musste, brachte das Stelldichein der jungen Mannen ganz gehörig in Wallung.
Vom Vater bekam ich noch eine Lektion im Zylindertragen. Mir wurde gelehrt, dass der Zylinder ganz gerade auf den Kopf sitzen soll. Die Schwierigkeit dabei ist wohl den Kopf gerade auf dem Hals zu halten.
Als sich der Zug der Zünfte abermals stehend im Rückstau befand, waren wir schon auf der Bahnhofstrasse, umsäumt von einer Menge begeisterten Schaulustigen und den irgendwie faszinierenden faszinierten, richtig gut, nein, perfekt organisierten Frauen von Zünftern, oder solche die es noch werden möchten.
Meine Zeit am Umzug beginnt nach dem Einbiegen in das Limmatquai, quasi mein Heimboden. Trottoire verstopft mit etlichen Bekannten in den Reihen, ich den Blick nervös schweifend immer suchend nach mehr, als den altbekannten Tanten. Die Spannung steigt und schon passiert`s. Auf der Höhe „Wingsbar“ gibt es für meine Fans kein Halten mehr. Mobmässig werde ich mit Gefallen überfallen und lasse mich von allen Seiten stupsen und schupsen und natürlich küssen. Der Filmriss nimmt seinen Lauf. Eine Ewigkeit später nehme ich nun breitbrüstig und mit vielen schönen Blumen die Verfolgung zur Zunft wieder auf.
Ding Dong, Ding Dong, Ding Dong, Ding Dong, Dong, Dong, Dong, Dong, Dong, Dong, während der schnellen Schritte schaue ich rechts zum Fraumünster. Nun ist es schon soweit, vor Zwölf Stunden hat mein Tag begonnen. Wie die Zeit vergeht!
Und wo stehen wir? Zumindest sehen wir Rauch und vernehmen die ersten Explosionen der Böögverbrennnung.
Weit nach Sechs, als sich der Böög bis auf die Gerüstteile aufgelöst hat, drängen uns bereits die Menschenmassen auf dem Rückzug entgegen. Ojeojeee… 12.54 sei die offizielle Zeit gewesen, lassen wir uns mit mehr oder weniger enttäuschten Stimmen sagen. Meine gewettete Zeit war 12.33 welche mich wegen lächerlichen 21 Sekunden um einen 1000 Franken Fleischkorb von Bell gebracht hat.
Der Ritt um den Feuerhaufen war dann trotzdem sehr eindrücklich, hatte die Reiterschar doch zum Teil beängstigend wenig Platz dazu. Mit durstiger Kehle duften wir dann zum Apéro in die „Wüste“, wo ich meine geliebte Karin und ihre Freundinnen treffe. Das „Terrasse“ und das „Rosaly`s“ liessen wir für einmal gut sein und fanden die wohlverdiente Pause auf der Oberdorfstrasse.
Hastigen Schrittes mache ich mich mit Roger Würth und Carlo Meybohm auf den ZickZack-Weg zurück zur Stube. Immer wieder treffen wir auf Gleichgesinnte und Bekannte auch Freunde aus anderen Zünften kreuzen unseren Weg.
Da und dort wird lamentiert und mit Sprüchen herum gekanzelt, als wären nur noch Zunftmeister zugegen. Dass der Umzug nicht allen gleich gut bekommen konnte, zeigte sich an einigen Stellen am Rande ziemlich deutlich, und für den Einen oder Anderen wird die heimische Stube wahrlich zum Rettungshafen.
Wie nach einer siegreichen Schlacht kommen die zufriedenen Zöifter laut und hungrig die Treppen hoch dem Geschmack von Essen entlang, rein in die Zunftstube. Bruno Würth lässt verlauten, dass wir zwar früher zurück seinen, jedoch bereits wieder im Verzug sind.
Es kommt das wohlverdiente Nachtessen angetragen. Der 3-Gänger startet mit einem „Pränesselsüppli“ gefolgt von lautstarken Rezeptanalysen. Danach gab es einen zarten Kalbsbraten, Nudeln und Gemüse. Zum Dessert gebrannte Creme, welche dann doch wieder ein bisschen an eine Suppe erinnert. Dazu Zunftwein vom Feinsten.
Die Rede von Maximilian Dietschi vulgo „Margarita“ dem erlesenen Zofinger Studenten ist zügig aber unkontrolliert mit gesuchten Poenten verpfeffert. Die Antwort kam dann kontrolliert gesalzen mit der Aufforderung an die Herren, ein paar Schnäpse zu trinken um alles schnell zu vergessen.
Es folgen diverse verdiente Verdankungen an das Restaurantteam.
Alex Hannemann, welcher einen perfekten Job machte, und wie immer durch charmanten Service bestach. „Wo war Meret?“ wurde laut geflüstert, kurz bevor die schöne Annouk zum Tisch lief. Andreas Lattmann sass jetzt auch bei uns.
Und wieder werden wir durch die Glocke zur Aufmerksamkeit gebeten. Diesmal für die Hinweise wohin der zoiftige Auszug geht. Erster Halt zu Gast bei der Zunft Fluntern. René Zeller soll Zunftmeister Dr. Felix E. Müller eine Rede halten und ihm frechfrohe Botschaften überbringen. Ein rhetorisches Feuerwerk unter Zeitungsmachern.
Der zweite Besuch ist bei der Zunft zur Meisen, wo uns der Zunftmeister Franz von Meyenburg-Lindgren empfängt. Toni Muster lässt sich die Chance nicht nehmen und lässt als hervorragender Redner nichts anbrennen. Zum Schluss geht es ins Hotel Schweizerhof zur Quartierzunft Witikon mit dem frisch gewählten Zunftmeister Andreas R. Bihrer, welchen sich unser Kommunikationsberater Jörg Röthlisberger an die Brust nimmt.
Mit einem freudigen Raunen wurde die geplante Route wahrgenommen, und alle waren sichtlich erfreut, nicht allzu weit, oder gar mit dem Car, dislozieren zu müssen.
Der „Saubannerzug“ für alle Unentwegten das absolute Highlight am Schluss, wird zweigeteilt. Die einen, angeführt von Marcus Gretener, gehen zurück in den Schweizerhof, die anderen Männer erwartet eine geballte Ladung Eckert bei den Schmiden, welche wegen dem Umbau im heimischen Zunfthaus zu Gast im Hotel Hyatt sind.
Nach den Klängen des Zunftspiels kam Bewegung auf und es roch allmählich nach Petrol aus den Laternen. Reges Treiben herrscht in der Garderobe, auf der Treppe und vor dem Zunfthaus.
Wir liefen vereint durch die Gassen des Niederdorfes ins Kunsthaus zu den Fluntermern und nach der fulminanten Rede von René Zeller in die Meisen zur Paukenrede von Toni Muster. Danach über die Bahnhofstrasse in den Schweizerhof, wo Jörg Röthlisberger in überzeugender Manier seine verbale Recherche zum Besten gab.
Bei bester Stimmung, begleitet von treuen Mitläufern und Mitläuferinnen, nahmen wir den geordneten Rückzug ins heimische Quartier in Angriff.
Niemand möchte auf das „heissi Würschtli mit Püürli und husgmachtem Senf, dezue emene chüele Pier“ verzichten.
Als dann der offizielle Teil des Sechseläutens vom Zunftmeister Eckert zur Vergangenheit erklärt wurde, ging es auch schon los mit den Aufräumarbeiten im Saal. Unter der perfekten Regie von Dölf Vogel wurde der Saal mit vereinten Kräften, wie durch Ameisen in Bestform, in Windeseile besenrein gemacht.
Plötzlich wurde wahr, was Martin Eckert bei der Schlussbemerkung angekündigt hat. Draussen knatterte bereits die Harley von Martin Schmäh, Polizeichef von Meilen, Herrliberg und Erlenbach. Wie ein richtiger Rocker, in Ledermontur, breitarmig und ein „Gängstertüechli“ über die Nase bis zu den Augen hochgezogen, bahnte er sich den Weg durch ungläubige schauende Zünfter vor den Eingang des Zunfthauses.
Knatternd mit ZM Martin Eckert auf dem Harleysozius bewegte sich der ehrenvolle, lautstarke Saubannerzug, angeführt von der Harmonie Kilchberg, durch die entzückte Passantenschar auf die andere Limmatseite in Richtung Hyatt.
Dort angekommen, hat man uns prompt den Einlass verweigert. Vorerst.
Dass die Töffgarage nicht im Festsaal ist, kam uns komisch vor und so sind wir dann auch kurz entschlossen in die viel zu lange Saubannerrede des Vorredners hinein gefahren.
Abermals, riesengrosse Augen vom Vorstehertisch als wir unseren Zunftmeister standesgemäss auf dem einzig freien Parkplatz abgeladen haben. Es roch noch rockig nach verbranntem Benzin im Saal, und noch keiner hatte sich beruhigen können, da kam, unter tumultartigem Applaus, die Sänfte mit Martins Vater, Peter Eckert dahergetragen.
Die Rede dann, vor Zunftmeister Jürg Guggisberg, der eigentliche Höhepunkt, bestritten die Herren Eckert dann im Doppel. Die Sätze prasselten spontan, jedoch perfekt vorbereitet, abermals gespickt mit allerlei aus Hirschmanns neuem Domizil und provisorischer Herberge der Zunft zur Schmiden, sowie einer weltklassigen Poente nach der Anderen.
Das war das einmalige, für mich schwer zu überbietende, Sechseläuten 2010.
Auf dem Heimweg dachte ich mir, wie froh ich bin, dass ich das erleben durfte, und was ich wohl geschrieben hätte, wenn es nicht so schön gewesen wäre.
Mit zöiftigem Gruss
Thomas Heuberger
Zürich, 30. Mai 2010