Mit der Erinnerung an ein historisches Bündnis, an die Hirsebreifahrt von 1456 und an die Zunftrevolution Strassburgs von 1331, erhält Strassburg die Ehre, als erste ausländische Stadt in der Geschichte, Gastkanton am schönsten Fest des Jahres zu sein.
Auf das traditionsgemässen Einläuten des diesjährigen Sechseläutens auf dem Lindenhof am Freitagabend folgen am Samstagabend die zahlreichen Bälle. Nebst dem Hottingerfäscht wurde auf diversen Stuben, so am Möischterhoofball uf de Waag, Schniider-Ball, Ball mit Knall, Jungzünfterball, Oberbau, Tanz de Böge, Uertenball, Widerhall, Zöiftigi Nacht und am Reiterball bis tief in die Nacht gelacht, gefeiert und getanzt.
Bei schönstem Wetter wurde der diesjährige Kinderumzug durchgeführt, wiederum geprägt durch farbenfrohe Kostüme und freudige Kinder, die durch die Strassen Zürichs maskierten. Rund 3’000 Kinder und 800 Musikanten begeisterten unzählige Zuschauer, die am Strassenrand den Umzug bejubelten.
Nach langem Ersehnen beginnt darauf der Montagmorgen mit dem Drapieren des Biedermeierkostüms und den letzten Vorbereitungen für den grossen Tag. Bereits auf dem Weg zum Zunfthaus werden „Woische“ für ein schönes Sechseläuten ausgetauscht. Vor dem Zunfthaus und auf dem Neumarktplatz herrscht bereits am frühen Morgen reges Treiben. Die Begeisterung, langjährige Kameraden und Freunde für diesen freudigen Anlass wieder zu sehen, belebt den altehrwürdigen Platz mit spürbarer Wärme und Euphorie.
Althergebracht besucht die Zunft alle zwei Jahre das Grab von Gottfried Keller. Zum 200. Jubiläum wurde der Urgrossneffe Gottfried Kellers eingeladen, um eine Rede am Grab vorzutragen. Am Vortrag ereilte die Zunft leider die unerfreuliche Nachricht, dass Gottfried Keller schwer erkrankt ist und im Spital liegt. Der 1. Zunftschreiber, Toni Allemann, liest anstelle der Rede zwei Kommentare von Zeitzeugen Gottfried Kellers und das Gedicht „Abendlied“ vor.
Augen, meine lieben Fensterlein,
Gebt mir schon so lange holden Schein,
Lasset freundlich Bild um Bild herein:
Einmal werdet ihr verdunkelt sein!
……..
Doch noch wandl‘ ich auf dem Abendfeld,
Nur dem sinkenden Gestirn gesellt;
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält,
Von dem goldnen Überfluss der Welt!
Während dem ehrenvollen Auftritt des Bannerherrn bittet der 1. Zunftschreiber die Zünfterssöhne, eine Gedenkminute zu Ehren des verstorbenen Gottfried Kellers einzulegen.
Nach dem andächtigen Besuch am Grab Gottfried Kellers entsteht bereits auf der Rückkehr in den VBZ-Bussen wieder rasch eine lebendige Stimmung. Die Vorfreude auf den heutigen Tag und das Beisammensein unter Freunden sind auf den Gesichtern der Hottinger Zünften unschwer erkennbar. Aufgestellt, lachend und schnellen Schrittes marschiert die Zunft wieder Richtung Neumarktplatz.
Stramm und voller Stolz stehen alle Zünfter, Zünfterssöhne, Bewerber, Interessenten, Gesellen und Schankburschen aufrecht, während dem die Trommeln im festlich geschmückten Zunftsaal ertönen und die Vorsteherschaft mit den Ehrengästen und Gästen den Saal betreten. Nun lässt der Stubenmeister, Martin Schmitt zum ersten Mal kräftig seine Glocke ertönen, damit sich alle an Ruhe und Ordnung halten und sich setzen. Achtungsgebietend verliest er die Namen der abwesenden Zünfter und stellt alle persönlichen Gäste der Zünfter einzeln vor, bevor der den diesjährigen Trinkspruch verliest.
Den inzwischen hungrig gewordenen Zünften wird aus der Küche von René Zimmermann eine «Grèèmigi Suppe vom Kabeljau und Seehecht mit grünen Bowèèrli und es Mutschli mit Anke» serviert.
Wohlwissend, dass nun der Zunftmeister, Marcus A. Gretener seine erste Rede halten wird, füllen die Schankburschen die Gläser mit Rotwein ein. Der Zunftmeister heisst alle Altzunftmeister, Ehrengäste, Gäste, Zünfter, Zünfterssöhne, Zunftgesellen und Schankburschen herzlich willkommen. Mit besonderer Freude begrüsst er zu seiner rechten Seite den Gemeindepräsident Beat Hirs und – wie sich das für einen Künstler gehört – zu seiner linken Seite den Schauspieler Max Simonischek, der im Film Zwingli die Rolle Zwingli darstellt. Ebenfalls mit grosser Freude begrüsst er Corinne Zeller und dankt ihr für ihre grossartige Arbeit, welche sie stets für die Zunft im Rahmen des Kostümvereins leistet und bei der Beschaffung der Uniformen geleistet hat. Sie wird auch von den Zünftern mit tosendem Applaus willkommen geheissen. Mit der Einladung möchte der Zunftmeister auch zum Ausdruck bringen, dass die Zunft für die Familie Zeller jederzeit da ist und René Zeller sicherlich in Gedanken am heutigen Tag dabei sein wird. Ein freudiges Willkomm erbietet er auch den beiden Luzerner Safran-Zünftern, Regierungsrat Paul Winiker und Urban Henzirohs. Nachdem an der Frühlingsversammlung ein Referat von Anne Walser zur Zwingli Produktion gehört werden durfte, wurde jetzt Peter Reichenbach als Gründer der C-Films AG und Gast der Zunft herzlich begrüsst. Der Zunftmeister führte dabei sinngemäss aus, dass er zwar optisch kein Vergleich zu Anne Walser sei, jedoch einer der wichtigsten Personen im Schweizer Film- und Produktionsbusiness. Ein besonderes Willkomm spricht der Zunftmeister sodann Alex Hannemann aus. Als ehemaliger und langjähriger Geschäftsführer der Wirtschaft Neumarkt stand er an vielen Sechseläuten für die Zunft im Einsatz. Nicht angekündigt in der Einladung sind auch die Marketenderinnen Anna Lena Dubs, Vanessa Knecht und Michèlle Reinhard auf Grund ihres 10-jährigen Jubiläums unter den Gästen. Sie reiten als Marketenderinnen bei der berittenen Artillerie, unter der strengen Führung des Artilleriechefs Hansjürg Diener, am Umzug mit. Dazu wurde bemerkt, dass diese Damen bewusst nicht am Ehrentisch platziert worden sind, da seit der Zunftmeister und der Programmchef nicht mehr bei den Reitern sitze, durchaus eine optische Auffrischung am Reitertisch angebracht sei. Wie gewöhnlich wird auch eine Dreierdelegation des Zofingervereins empfangen.
Der Zunftmeister erwähnt, dass der Urgrossneffe von Gottfried Keller es äusserst bedauere, am Sechseläuten nicht dabei sein zu können. Er verliest seine Grussbotschaft:
«Hochverehrter Herr Zunftmeister, verehrte Vorstandsmitglieder, liebe Hottinger Zünfter und liebe Zunftgesellen. ES GEHT LEIDER NICHT. Leider lässt mein aktueller Gesundheitszustand eine Teilnahme an eurem schönen Frühlingsfest nicht zu. Ich liege im Universitätsspital Basel mit ungünstigen Blutwerten und einer Fieberkurve zwischen 36 und 40 Grad. Ihr wisst, lieber Marcus, liebe Zürcher Freunde, wie gern ich mit euch feiern würde. Vielleicht ist es ja möglich, die ganze Sache um zwei Jahre aufzuschieben. Denn ich denke, dass die Dinge, die ich für die Rede am Grab meines Urgrossonkels vorbereitet habe, auch 2021 noch Gültigkeit haben werden. Es tut mir ganz schrecklich Leid, dass es heuer nicht klappt. Euch liebe Hottinger wünsche ich ein wunderschönes Frühlingsfest und ein wunderbares, schönes Sechseläuten in Freundschaft in der Freiheit».
Der Zunftmeister führt darauf gegenüber den anwesenden Zünftern und Gästen aus, dass die Zunft selbstverständlich seinem Wunsch nachkommen und ihn ans Sechseläuten 2021 einladen werde. Er überreicht den für Gottfried Keller vorgesehenen Tirgel dem ersten Zunftschreiber, Toni Allemann, welcher kurzfristig am Grab eingesprungen ist und die Vertretung übernommen hat. Emotional und freudig begrüsst der Zunftmeister den ältesten Zünfter Walter Vogel, welcher das 93. Lebensjahr erreicht hat. In diesem hohen Alter noch den Weg zur Zunftstube zu meistern, beeindruckt alle Zünfter ungemein. Sie bejubeln «Walti» mit grossem Applaus.
Mit den Eingangsworten, wer sich noch erinnert, wann er das letzte Mal ein Feuer gemacht habe, beginnt der Zunftmeister, Marcus A. Gretener seine staatsmännische Rede. Vor rund 800’000 Jahren sei das Feuer durch einen Zufall entstanden. Jedoch wollte die Menschheit diesem Zufall nicht ausgeliefert sein und versuchte deshalb, die Entzündung eines Feuers beherrschen zu können. Hinter diesem Antrieb stecke reine Neugier, welche auch im heutigen Zeitalter Brennstoff für Innovation widerspiegle. Ohne Neugier entstünden keine neue Ideen. Der Gründer des innovativsten Herstellers für Ventillatoren, Carey Smith, suche sich seine Mitarbeiter deshalb nach den Kriterien Neugier und Positivität aus. Die Firma habe in den letzten drei Jahren ihren Umsatz verdoppelt. Psychologen der Universität Würzburg nahmen dies zum Anlass, um diesen intuitiven Ansatz nachzuweisen. Sie entwickelten Kurztests, um die Neugier bei den Mitarbeitern zu messen. Die Tests ergaben, dass die neugierigen Mitarbeiter auch die gewissenhafteren Personen und offener gegenüber Veränderungen seien. Veränderungen würden unweigerlich eine Gegenüberstellung von Sicherheit und Risiko implizieren. Mit der Tendenz, eine klare Antwort einer mehrdeutigen vorzuziehen, sei die latente Gefahr da, die Suche nach Informationen zu schnell abzuschliessen. Stereotypes Denken werde somit gefördert und Glaubenssätze würden zu Dogmen. Die Förderung von Neugier sei deshalb am Arbeitsplatz bedeutend. Sie ermutige die Mitarbeiter weiterzudenken und zu lernen. Um die Neugier in den Arbeitsalltag einzuflechten, müsse eine externe Person zur Lösungsfindung dazu genommen werden. Diese Person könne durch den Umstand, dass sie neu dabei sei, unbedarft naive Fragen stellen. Die neue Person trage dazu bei, Fragen neu zu stellen und neue Perspektiven zu eröffnen. Auch ein Blick in andere Branchen lohne sich. Beispielsweise habe die Pornoindustrie im Jahre 2018 100 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Dies daher, da sich diese Industrie gegenüber neuen Technologien offen zeige und diese direkt integriere. Bereits 24 Stunden nach der Einführung des ersten iPad’s entstand die erste tablet-optimierte Webseite aus diesem Bereich. Der Zunftmeister appelliert, Unsicherheiten zu nutzen und das Bekannte im Unbekannten zu suchen. Es lohne sich, den Dialog mit andersdenkenden Menschen zu führen, um Inspiration anstatt Bestätigung zu finden. Mit dem Zitat «Der Verstand ist nicht ein Gefäss, dass gefüllt werden muss, sondern ein Feuer, das es zu entzünden gilt.» beendet der Zunftmeister seine Rede.
Nach der eloquenten und tiefgründigen Rede des Zunftmeisters entsteht im Zunftsaal reges Treiben. Der Stubenmeister, Martin Schmitt, muss ein erstes Mal seine Stimme erheben und die Herren ermahnen, sich zu setzen, sodass das Personal die Vorspeise servieren kann. Um den Terminplan einzuhalten, wird kurz darauf auch der Hauptgang in Anlehnung an die Gaststadt «Choucroute nach der Art vu Strassburg mit Rippli, Saucisson und Hèrdöpfel» serviert. Sowohl die Vorspeise, wie auch der Hauptgang munden sehr und erwecken Vorfreude auf das Abendessen.
Mit lediglich 11 Minuten Verspätung steht um 11:51 Uhr zum ersten Mal an diesem Tag das Spiel auf der Bühne und spielt den Sechseläutenmarsch. Das Spiel der Harmonie Kilchberg in ihren neuen Uniformen zu sehen und zu hören wird sichtlich von allen Anwesenden sehr genossen.
Der Zunftmeister stellt seinen ersten Ehrengast vor. Beat Hirs führt das Amt des Gemeindepräsidenten von Rorschach und gehört der Schweizer Delegation im Kongress der Gemeinden und Regionen Europas im Europarat in Strassburg an. Es sei äusserst schwierig gewesen, für das diesjährige Sechseläuten einen adäquaten Ehrengast aus der Gaststadt Strassburg zu finden. Wie solle ein Schneckenfresser aus der selbsternannten Hauptstadt Europas gefunden werden, welcher so tut, als würde er schweizerdeutsch sprechen und nicht ein Wanderpokal am Sechseläuten sei wie Gilbert Gress. Auf dem Weg nach Rorschach habe sich der Zunftmeister gefragt, was der gebürtige Zürcher verbrochen habe, dass er in diesem Exil gelandet ist. Die Zünfter sollen wissen, dass ein Gemeindepräsident im Kanton St. Gallen im Vergleich zu einem im Kanton Zürich Ansehen geniesse. Beat Hirs präsidiere den Gemeinderat, die Baukommission, das Stimmbüro, die Verwaltungskommission, den Einbürgerungsrat, führe die Strom- und Wasserversorgung, leite den Werkhof, die Betriebskommission der Altersresidenz vom Seeblick, sei Verwaltungsratspräsident vom Pflegheim Pelago, Verwaltungsrat vom Abwasserverband Altenrhein, Präsident der Stiftung Landschaftspark Wartegg, Verwaltungsrat Hörnlibuck AG, Präsident des Tagesfamilienvereins Rohrschach und Umgebung, Vorstandsmitglied der Vereinigung St. Galler Gemeindepräsidenten und Waldrat der Waldregion 1. Auf der Zunftstube bricht grosses Gelächter aus. Weiter, so fügt der Zunftmeister hinzu, sei es verständlich, dass er auch einmal aus der Enge einer kleinen Gemeinde flüchten müsse, um seine Perspektiven zu erweitern. Um aus den Alltagsstrukturen zu entrinnen, sei er passionierter Sammler von Oldtimern aus den 30er Jahren. Er bewege die zwei Bentleys, die zwei Rolls-Royce und den Mercedes regelmässig und fahre auch Rallies. Eben Gemeindepräsident im Kanton St. Gallen müsse man heutzutage sein, bemerkt der Zunftmeister schmunzelnd. Daneben sei Beat Hirs auch ein passionierter Jäger, wonach nun alle gespannt auf seine rhetorische Treffsicherheit seien.
Beat Hirs bedankt sich sehr herzlich, einmal im Leben so intensiv das Sechseläuten erleben zu dürfen. Als Exilzürcher kenne er das Sechseläuten seit Kindsbeinen. Als kleiner Knabe sei er mit seinen Grosseltern Zuschauer am Umzug gewesen und als er etwas grösser war, durfte er bereits mit seinem Vater auf dem Balkon der Kreditanstalt zuschauen. Der Europarat sei 1949 gegründet worden, als Europa in den Trümmern lag. In dieser schwierigen Zeit habe dieser Rat mitgeholfen, die Länder wieder zu vereinen und zusammenzuführen. Gerade im kalten Krieg musste Mitteleuropa eng zusammenrücken und konnte dadurch prosperieren. Anfangs der neunziger Jahre sei der eiserne Vorhang gefallen und die kommunistischen Systeme gescheitert. Auf diesem neuen Trümmerhaufen habe der Europarat intensiv mitgeholfen, neue demokratische Strukturen aufzubauen und zu stärken. Mittlerweile bestehe der Europarat aus 47 Ländern, inklusive spezieller Staaten, wie der Türkei und Aserbaidschan. Er schätze den Austausch mit politischen Kollegen aus dem Ausland sehr. Heutzutage hätten in den jungen Demokratien noch immer viele Bürger Mühe, Verantwortung zu übernehmen und frei mit zu entscheiden. Viele würden noch der Zeit nachtrauern, als alle Arbeit hatten. Aus der Vergangenheit bleibe meistens nur das Positive. Negative Erlebnisse gingen oftmals vergessen. So käme es vor, dass irgendein reicher Oligarch aufstehe, an den Nationalismus appelliere und so rasch eine Mehrheit im Land erringe. Für uns Schweizer sei dies fast unvorstellbar. Aber dies zeige, wie wichtig es sei, Kulturen und Traditionen aufzubauen und daran zu arbeiten. Die Zünfte hätten es verstanden, Traditionen weiterzugeben, die jungen Generationen aufzunehmen sowie die Gebräuche und Traditionen ihnen weiterzugeben. Dies müsse in der Politik zuerst gelernt werden. Durch die Veränderungen hätte die Politik an Einfluss verloren und die Wirtschaft motiviere keine Leute mehr, sich für die Politik zu engagieren. Die heutige Generation wolle keine Farbe mehr bekennen, sich nicht einbinden lassen oder einer Partei beitreten. Er appelliert, dass junge Personen sich mehr in der Politik engagieren sollten. Das Volk solle offen sein für Neuentwicklungen und doch Traditionen pflegen. So soll es gelingen, gute Politiker zu finden, die etwas leisten und sich nicht nur aufgrund einer gescheiterten Karriere in der Privatwirtschaft profilieren wollen. In dem Sinne sei das Sechseläuten ein Vorbild. Die Zünfte entwickeln sich weiter, pflegen die Traditionen und geben diese an die nächste Generation weiter. Sie rekrutieren ihren Nachwuchs selber und finden motivierte Personen, die Verantwortung übernehmen. Das Sechseläuten verkörpere auch ein Stück Sehnsucht nach einem Fundament, nach einer Verlässlichkeit und Heimat in einer internationalen und unsicheren Welt. Er freue sich darum besonders, den heutigen Tag mit der Zunft zu feiern.
Bevor der zweite Ehrengast mit nur viertelstündiger Verspätung vorgestellt wird, ruft der Stubenmeister mit bereits etwas heiserer Stimme zur Ordnung auf. Der Zunftmeister bezeichnet den zweiten Ehrengast als höchst melancholische Person. Wie sonst könne erklärt werden, dass jemand nur Musik von Leonard Cohen, Nick Cave oder Tom Waits höre. Bereits bei der Aufzählung der Namen sei die Gefahr einer Depression latent. Der Zunftmeister habe ihn aber als sehr kommunikativen, sympathischen, umgänglichen, höflichen und fröhlichen Zeitgenossen kennengelernt. Nachdem im letzten Jahr als Ehrengast Bischof Felix Gmür auf der Stube gewesen sei, versuche er dieses Jahr, Pfarrer Sigrist zuliebe, ganz im Sinne der Ökumene, mit Zwingli einen Ausgleich zu schaffen. Pfarrer Sigrist bedankt sich lachend beim Zunftmeister. Dieser führt darauf weiter aus, es sei jedoch vermessen, Max Simonischek als herausragenden Schauspieler auf die Rolle des Zwinglis zu reduzieren. Bei den Filmen Verdingbub, Akte Grüninger und die göttliche Ordnung sowie bei den Serien Gotthard und Hindenburg spielte er bereits schon in manchen Haupt- und Nebenrollen mit. Max Simonischek sei womöglich lange auch nicht so bekannt gewesen, weil er entgegen seinem Naturell in seinen Rollen immer leicht debil und meistens nicht sehr vorteilhaft aussah. Sei das als vergewaltigter Bauernsohn Jakob in Verdingbub, als obrigkeitsgläubiger Polizeiinspektor Frey in Akte Grüninger, als patriarchischer Ehemann Hans in Die göttliche Ordnung. Diese Auswahl sei bewusst von ihm gewählt, um nicht nur auf sein Äusseres reduziert zu werden und so nur Hauptrollen als Helden zu erhalten. Ungeschminkt könne er nämlich, wenn auch nur knapp, mit dem Aussehen des schönsten Zunftmeisters der Stadt Zürich mithalten. Max Simonischek sei nach der Trennung seiner Eltern in die Schweiz gekommen und besuchte danach ein Internat für Schwererziehbare in Schleswig-Holstein. Er lege dabei aber besonderen Wert darauf, dass er damals im Internat der einzige, nicht schwererziehbare gewesen sei. Danach absolvierte er ein Schauspielstudium in Salzburg. Nach verschiedenen Theaterauftritten suchte er sich den Weg in die Filmszene.
Mit dem Zwinglihut auf dem Kopf begrüsst Max Simonischek die Zünfter. Es sei ihm eine grosse Ehre im Kreise der Hottinger Zunft, das Sechseläuten zu feiern. Bereits als Kind war er fest im Bann dieses Festes und des Treibens. Mit seiner Rolle als Zwingli habe er sich intensiv mit der Geschichte von Zürich auseinandergesetzt. Dabei habe er viel über die gesellschaftliche Bedeutung der Zürcher Zünfte erfahren und auch darüber, wie wichtig sie für die Schweizer Reformation waren. Die Zünfte seien es gewesen, die mit der Zürcher Zunftverfassung 1498 einen entscheidenden Beitrag zur Demokratisierung dieser Stadt geleistet haben. So sei auch bekannt, dass Zwingli sehr gerne Gast in Zünfterstuben gewesen sei. Immer wieder treffe er im Ausland Personen, die aus unterschiedlichsten Gründen mit ihm über die Schweiz reden möchten. Beweggründe seien oftmals die malerischen Landschaften, die hohen Berge, die weltbesten Uhren oder die unvergleichbare Schokolade. Jedoch gebe es immer auch wieder Personen, die von der weltweit einzigartigen, direkten Demokratie begeistert seien. Sie seien erstaunt, dass die Schweiz als solch kleines Land in Europa ein solch starkes demokratisches System habe. Jenen Personen erzähle er von den Schweizer Traditionen, den Zünften und vom Sechseläuten. Die Zünfte würden die Mentalität für nachhaltige Werte besitzen und trügen dazu bei, dass die Schweiz das einzige Land ist, indem ein Volksfest in die Arbeitszeit verlängert werde. Als glühender Europäer freue er sich ganz besonders, dass erstmals eine ausländische Stadt als Gast am Sechseläuten teilnehmen dürfe und so die Traditionen über die Schweizer Grenzen hinausgetragen werden.
Nach der Ansprache nutzen die Zünfter die Gunst der Stunde, um mit ihren Mitzünftern anzustossen oder sich eine Zigarettenpause zu gönnen. Dies korreliert jedoch ganz und gar nicht mit den Vorstellungen des Stubenmeisters. Er ermahnt erneut, sich zu setzen. Nach einem äusserst wohlschmeckenden «Öpfel-Streusel Chueche mit gschwungenem Nidel» marschiert die Reitergruppe der Zunft Fluntern in den Zunftsaal, um einen verloren gegangenen Hut zurückzuholen. Als Bestechung, um den Hut zurückzuerhalten, lädt der Fluntener Zünfter den gesamten Vorstand nach einer Vorsteherschaftssitzung zum Apéro in das Hotel Plattenhof ein. Der Zunftmeister gibt dem Fluntener Zünfter den Hut mit einer Lanze zurück, da er einen solchen Filzhut nicht anfassen wolle. Der Saal bricht in grosses Gelächter aus.
Um 14:21 Uhr betritt mit neugierigen Blicken die Kindergruppe den Saal. Suchend nach ihren Vätern, Grossvätern, Onkeln und Göttis stehen sie aufgereiht vor dem Vorstehertisch. In ihren bunten Biedermeier- Kostümen funkeln ihre Augen durch den Saal. Mit den rund 111 Kindern und der Nachmittagswärme steigen die Temperaturen im Zunftsaal auf Höchstwärme. Im Namen aller Hottinger Zünfter begrüsst der Zunftmeister wärmstens die Kindergruppe. Drei Kinderdelegationen wurden entsendet, um Grüsse an neuernannte Zunftmeister zu überbringen. Beim Kämbel überbrachten Luana und Nico Weber beste Grüsse. Die zweite Delegation mit Anya und Tim Baumann wurden zum Schneidermeister entsandt. Die dritte Delegation mit den Kindern der Familie Diener besuchte, sozusagen als Vorhut für den anstehenden Besuch des Altzunftmeisters Dr. Martin Eckert, den neuen Schmidenmeister, Jürg Honegger. Mit einem gemeinsamen und lauten «es schöns Sächsilüüte» verabschieden sich die Kinder vom Zunftmeister und von den Hottinger Zünftern.
Nachdem der Zugführer, Dr. Christoph Schuppli die Zugformation bekanntgegeben hat, schwärmen die Zünfter auf den bereits vorher mit den Angehörigen gefüllten Neumarktplatz aus. Dort werden ihnen von ihren Frauen die ersten Blumensträusse überreicht und dabei entsprechend der Tradition ein schönes Sechseläuten gewünscht. Um die Hitze aus dem Zunftsaal abzustreifen, gönnen sich einige Zünfter in der Kantorei ein frisch gezapftes Bier. Das Treiben und Gedränge wird begleitet durch die Marschmusik der Harmonie Kilchberg.
Mit rund 10 Minuten Verspätung um 15:40 Uhr marschiert die Zunft Hottingen in Zugformation Richtung Rudolf-Brun-Brücke ab. Via Beatenplatz und Beatengasse biegt der Hottinger Zug um Punkt 16:25 Uhr in die mit vielen Zuschauern gefüllte Bahnhofsstrasse. Die Tradition, die Zünfter mit Blumen zu beschenken, bereitet auf beiden Seiten viel Freude. Voller Stolz präsentieren sich die Zünfte in ihren schönsten Gewändern den Bürgern von Zürich und erhalten als Dank dafür Applaus und bewundernde Blicke. Der schönste Spaziergang des Jahres verkörpert den Höhepunkt des Tages. Petrus sorgt für optimale Bedingungen während des Marsches. Der Himmel ist leicht bewölkt und die Temperaturen sind äusserst angenehm. Angekommen am Limmatquai, vorbei am Schweizer Fernsehen und den letzten Zuschauern wartet vor dem Restaurant Terrasse wie üblich ein frisches Bier auf die vorbeimarschierenden Zünfter.
Zu Ehren Zwinglis trägt der «Böögg» dieses Jahr den Zwinglihut. Die Zünfte ordnen sich nach vorgegebener Reihenfolge um den Böögg, um ihre Dragoner anzufeuern. Um Punkt 18:00 Uhr wird das Holz unter dem «Böögg» entzündet. Rasch steigen Flammen auf und funkeln bereits am Kleid des «Bööggs». Erste laute Knalle ertönen am Platz, was in den Reihen der Zünfter und bei den Zuschauern rund um den Platz für grossen Jubel sorgt. Nach 17 Minuten und 44 Sekunden explodiert der Kopf mit einem ohrenbetäubenden, finalen Knall. Die Dauer deutet damit eher auf einen mittelmässigen Sommer hin.
Zurück auf dem Neumarktplatz ist die Stimmung entspannt und ausgelassen. Die meisten Zünfter geniessen die abendliche Brise und die letzten Sonnenstrahlen. Der Stubenmeister fordert mit dem Läuten die Zünfter auf, sich im Zunftsaal einzufinden. Mit rund 20 Minuten Verspätung wird den Zünftern «Grüene Salaat anere Gmües-Vinaigrette und Gougères» gefolgt von «Coq au Riesling mit Champignons und Quarkchnöpfli» und «Prännti Crèème» serviert. Die Schankburschen schenken dazu eifrig Wilchinger «Zouftwii» aus.
Nach einer Verdankung an den Reiterchef stellt der Zunftmeister die Dreierdelegation der Zofinger vor, die wie jedes Jahr am Sechseläuten eine kurze Produktion zum Besten gibt. Wie der Zunftmeister schmunzelnd bemerkt, haben die Zofinger nach langer Zeit letztes Jahr wieder eine gute Produktion auf die Beine gestellt, jedoch nur, da unser Mitzünfter Dr. Urs Rengel diese geschrieben hatte. Als Vorhut schicken sie Henry Twerenbold v/o Vakuum. In Anlehnung an das Vorjahr überreicht ihm der Zunftmeister eine Basler Larve. Der Auftritt der drei Zofinger als Singstudent, als Zunftmeister in der Person von Marcus A. Gretener und als Zofinger findet, wie gewohnt, nur mässigen Anklang im Zunftsaal.
Aus den offenen Fenstern des Zunftsaals ertönen vom Neumarktplatz die Klänge der Harmonie Kilchberg, während dem über den bevorstehenden Auszug informiert wird. Wiederum sollen alle verfügbare Laternen mitgenommen werden, um die zünftige Lebensfreude ins Zürcher Stadtleben hinauszutragen. Für den diesjährigen Auszug werden die Sprecher Ralph Brogle bei der Zunft Fluntern, Bénédict Thomann bei der Zunft zum Widder und Philipp Baumann bei der Zunft zur Saffran bekanntgegeben.
In den Gassen im Niederdorf herrscht reger Betrieb. Die vielen Laternen sorgen für eine Reise zurück in die Zeit des Mittelalters und locken viele Zuschauer an. Begleitet vom Trommelspiel marschiert die Zunft in Reih und Glied Richtung Restaurant Metropol.
Angekommen im Zunftsaal zeigt Ralph Brogle dem Zunftmeister Urs Berli auf, dass die Zunft Fluntern eine Exilzunft sei, da sie bereits mehrere Male ihr Zunfthaus wechselte. Sie sei sozusagen die Romazunft unter den Zünften. Sie würden sich immer wieder neue Lokale ohne Fenster suchen und können deshalb als Maulwürfe unter den Zünftern bezeichnet werden. Der Zunftmeister entgegnet, dass seit Dr. Martin Eckert nicht mehr Zunftmeister der Zunft Hottingen sei, die Qualität der Reden abgenommen, jedoch die Stimmung zugenommen habe.
Bénédict Thomann gedachte dem mutigen Einsatz der Widderzünfter in der Mordnacht vor mehr als 650 Jahren. Seither sei aber nicht mehr viel passiert. Ein Exkurs in die Definition von Gammelfleisch implizierte, dass bei den Widder Zünftern eine Erneuerung fällig ist. Er empfiehlt dem Zunftmeister Georg Steiger dringend eine Imagekampagne. Er übergibt ihm ein entsprechendes Massnahmenpaket. Das Paket soll dem Zunftmeister zu einem frischeren Auftreten mit einem Seidenfoulard und einem Ohrenring weiterhelfen. Zudem erhalte er vom Hottinger Zunftmeister, Marcus A. Gretener, einen Gutschein zur Imagepflege. Denn mit einer geschickten Kommunikation sei vieles möglich. So habe sich bspw. die Zeitschrift «die Zeit» am international «women’s day» auf Twitter geäussert: «Bitte beachten Sie. Wegen des morgigen Weltfrauentags arbeiten die weiblichen Mitarbeiterinnen nicht. Der Betrieb läuft wie gewohnt weiter». Hier kann sich selbst die anwesende Politikerin Doris Fiala kaum halten vor Lachen. Auch während dem Rest der Rede übertönt ihr schrilles Lachen bei den vielen gut sitzenden Pointen immer wieder den Lärm im Saal.
Philipp Baumann zieht den Zunftmeister der Zunft zu Saffran, Alex Rübel, damit auf, dass er erst als Zoodirektor sein Kindheitstraum einer Vogelvoliere erfüllen konnte und diese deshalb in überdimensionaler Grösse bauen liess, sodass sie selbst vom Flieger sichtbar sei. Mit seinem Zebra E-Bike werde Alex Rübel auch der «Züriblitz» genannt. Zudem gebe ihm der «Zebralook» auch fast eine perfekte Corporate Identity. Um diese Unternehmensidentität noch zu vervollständigen, übergibt Philipp Baumann ihm einen Velo Helm mit Fuchsohren. Weiter schlägt er ihm Christa Rigozzi als seine Nachfolgerin für die Zoodirektion vor.
Im Laternenmeer der Stadt Zürich kehrt die Zunft zurück an den Neumarktplatz. Zurück im Zunfthaus wird noch ein wunderbarer «Fleischchèès mit eme Püürli, huusmachtem Sämf und es chüels Pier» serviert. Um 0:41 Uhr verdankt der Zunftmeister der Zunft Hottingen mit einem Tirggel die Sprecher und die Schankburschen, welche wiederum hervorragende Arbeit leisteten. Gemeinsam mit allen Gesellen, Bewerbern und Interessenten wird die Zunftstube schnell zurückgebaut, um den Saubanner-Zug zur Zunft zur Schmiden mit ihrem neuen Zunftmeister Jürg Honegger nicht zu verpassen.
Das diesjährige Sechseläuten wird wiederum in sehr schöner Erinnerung bleiben. Interessante Reden, Begegnungen und Diskussionen prägten das schönste Fest des Jahres und wecken bereits Vorfreude auf den nächsten Frühling.