Rechenmahl 2019 (Vicente Raurich)

Prolog

Voller Vorfreude ruft mir der 2. Zunftschreiber, Hansjörg Hofmann, am Samstag 9. November an, und fragt mich auf dem Mobiltelefon an, ob ich am kommenden Rechenmahl den Stimmungsbericht verfassen möchte. Unterwegs zu den samstäglichen Besorgungen bejahe ich freudig und nehme auf der weiteren, rasanten Velofahrt quer durchs Quartier Hottingen sogleich einige Tipps und Hinweise zur Vorbereitung von Hansjörg entgegen.

Warm-up: Der Reitertreff

Die hochwohllöblichen Reiter der Zunft Hottingen treffen sich bereits um 14:00 Uhr in der Bilgeri- Stube zur Initialisierungssitzung für den Sternritt 2020: Dem Rotationsprinzip unter den zoiftigen Reitergruppen folgend, organisiert die Zunft Hottingen den traditionellen Sternritt 2020 im kommenden September. Ein solcher Anlass mit ca. 250 Reitern (und ebenso vielen Pferden) erfordert jeweils von der organisierenden Zunft eine vorausschauende und durchdachte Planung: Nebst unterschiedlichen Anreitrouten der einzelnen teilnehmenden Zünfte wird typischerweise ein „Challenge-Cup“ genannter, reitsportliches Kräftemessen organisiert. Zu guter Letzt gilt es auch Speis-und Trank sowie logistische Aspekte wie z.B. die Pferde-Anhängerparkordnung zu planen.

Nach dem freudigen „Hallo“ in der geselligen Reiterrunde am Nachmittag des 16. November 2019 galt allerdings der Fokus weniger der Abwicklung des hypologischen Anlasses, sondern vielmehr dem Champagnerkübel mit seiner eisgekühlten Fracht Cervisia.

Selbstverständlich haben die unentwegten und brüderlichen Reiter dann unter der magistralen Leitung des hochgeachteten Herrn Reiterchefs Pedro Mor ein Organisationskommittee konstituiert, welches sich um alle Belange des Sternritts 2020 kümmern wird. Ganz besonders zu erwähnen sei hier die Jenny’sche, pferdegezogene Gulaschkanone, welche mit „Kanonier“ und Gastronom Christian Stamm so richtig eingeheizt werden wird.

Anschliessend sammeln sich in der Bar im Erdgeschoss und vor dem Zunfthaus zum Neumarkt die weiteren eintreffenden Zoifter zu gemütlichen, persönlichen Gesprächen in kleinen Grüppchen.

Das Rechenmahl beginnt

Um 18:00 Uhr in einer bis auf den letzten Platz vollen Zunftstube startet dann mit einem Trommelwirbel durch Tambour und Mit-Zoifter, Chris Gretener, pünktlich das Rechenmahl 2019. Es treten hinter dem Tambour die Vorsteherschaft und die Ehrengäste der Zunft Hottingen in den Saal ein. Der Saal ist festlich geschmückt und dennoch gemütlich eingerichtet, so zieren Gemälde mit Hottinger-Bezug (u.a. alte Hottinger Ansichten, Gottfried Keller-Porträts) die Wände, umrahmt vom Sau-Banner, vom Züri- Banner und von Hottinger-Fahnen aus verschiedenen Epochen.

Wenige Minuten später folgt die Begrüssung der Gäste, welche angehalten sind, sich zu erheben, sich im Uhrzeigersinn der Vorsteherschaft zuzuwenden, mit einer leichten Verneigung den Blick auf den Zunftmeister zu richten und sich sogleich weiter zu drehen und wieder zu setzen.

Eine ungestüm-euphorische Begrüssung durch die Anwesenden erfahren dann die Schankburschen, welche an diesem Rechenmahl unter erstmaliger Anleitung von Timo Röthlisberger ihre wichtige Arbeit aufnehmen. In diesem Zusammenhang – und passend auch zum 500-Jahr Jubiläum der Reformation in Zürich – verkündet Stubenmeister, Martin Schmitt, den Trinkspruch des heutigen Abends:

„Der liebe Gott hat nicht gewollt, dass edler Wein verderben sollt‘. D’rum gab er uns nicht nur die Reben, er hat uns auch den Durst gegeben.“

Die gehäckselte Gans, oder doch ein Quorn-Schnitzel?

Kulinarisch werden wir wie gewohnt unter kundiger Anleitung von Bankett-Chefin Danielle Rechter verwöhnt. Als Auftakt wird eine „Chüürpssuppe mit Bergamotte und Garnele us em Iismeer“ serviert.

Während es die Garnele aus dem Eismeer ganz in die Hottinger Zunftstube schaffte, scheint sich das Geflügel („Hackbrate vu der Gans mit Rootchruut, Marroni, huusgmachti Chnöpfli und vil Soose“, Herkunft Unbekannt) in Zeiten von „Flugscham“ nicht in einem Stück nach Zürich gewagt zu haben. Oder hat es etwa eine unglückliche Abkürzung durch einen Garten genommen, der im Begriff war, winterfest gemacht zu werden und geriet dort dabei in den Häcksler? Böse Zungen fragten sich gar, ob es sich nicht doch um eine „Fake“-Gans handele, also ein veganes Quorn-Schnitzel.

Wie dem auch sei, genug zu den Neozoen auf der Zunftstube.

Langsames Denken, schnelles Denken

Die angeregten Diskussionen im Saal enden abrupt, als sich der Zunftmeister, Marcus A. Gretener, erhebt und die Ehrengäste persönlich begrüsst. Diese sind (sortiert in ansteigender Schnelligkeit des Denkens):

  • Herr Felix P. Blumer, Zunftmeister Zunft zu Wiedikon, in Begleitung seines Be(i)sitzers Herrn Adrian Sigrist
  • Herr Ruedi Vontobel, Zunftmeister Zunft St. Niklaus und Primus inter Pares der Zunftmeisterversammlung, begleitet von Herrn Peter Christen, Statthalter und Delegierter ZZZ, Zunft St. Niklaus
    Als Gäste waren sodann anwesend:
  • Die Sprecher des vergangenen Sechseläutens: Herr Reto Dannenberg, Zunft zu den Drei Königen; Herr Nicola Opprecht, Zunft Fluntern; Herr Luca Stäger, Zunft Wollishofen.
  • Herr Markus Grieder, Meister E.E. Zunft zum Himmel, Basel
  • Herr Markus von Arx, Stadtverführer und Erzähler aus Solothurn
  • Herr Markus Hedinger, Weingut und Kellerei, Wilchingen – Produzent des Hottinger Zunftweins
  • Vertreter der Reitställe: Albert und Manuela Kuster, Schönholzerswilen; Herr Nesi Zindel, Maienfeld.

Die Rede unseres Zunftmeisters handelt wie immer von einem top aktuellen Thema: „Logik ist das Letzte was das Gehirn tut – oder warum sich langsames Denken lohnt“. Bezug nehmend auf mehrere Studien von Gehirnforschern (z.B. Susan Greenfield) und Oekonomen (z.B. Daniel Kahneman) wird in der Rede erläutert, wie sehr der Instinkt unser Denken prägt. Daniel Kahneman, mit dem Wirtschaftsnobelpreis 2002 ausgezeichnet, beschreibt in seinem Buch „Thinking, fast and slow“ zwei unterschiedliche Denkweisen:

Das schnelle Denken ist ständig aktiv, urteilt aus tausenden von Eindrücken in Alltagssituationen rasch und mühelos, und kommt zu schnellen, intuitiven Entscheiden. Es leistet geniales, in dem es z.B. Entfernungen einschätzen kann, Gefahren oder Stimmungen beurteilt.

Das langsame Denken kommt hingegen nur dann zum Zug, wenn im Strom des schnellen Denkens etwas komplexes, gefährliches und unerwartetes Auftaucht. Dies können Rechnungsaufgaben, eine unübersichtliche Strassenkreuzung oder ein rosarotes Eichhörnchen sein.

Das langsame Denken verbraucht viel Energie, strengt an und hat nur eine beschränkte Aufmerksamkeitsspanne zur Verfügung – weshalb es in erster Linie „faul“ ist. So kommt Daniel Kahneman zum Schluss, dass das menschliche Gehirn eine Art Komödie aufführt, in der das langsame Denken überzeugt ist, es sei der Chef, in Tat und Wahrheit aber fast alle Entscheide des menschlichen Gehirns vom schnellen Denken getroffen werden.

An erstaunlichen Beispielen wird in der Zunftmeisterrede klar gemacht, was dieses Zusammenspiel von schnellem und langsamen Denken zur Folge hat:

Wenn im Rahmen eines Verhaltens-Experimentes ein Haus verkauft werden sollte, und man Makler zu einer Hausbesichtigung dafür einlud. Während die einen eine Beschreibung erhielten mit einem weit überhöhten Preis, erhielten die anderen keine Beschreibung und keine Preisvorstellung. Bei denjenigen, die einen überhöhten Schätzpreis genannt erhielten, lag die eigene (vermeintlich professionellere) Einschätzung statistisch relevant um über 30% höher als bei denjenigen, die keine Preisvorstellung genannt erhalten hatten.

Ebenso hatten in einem anderen Versuch Richter mit mindestens 15 Jahren Berufserfahrung, die einen fiktiven Fall einer stehlenden Hausfrau zu beurteilen hatten, ihr Urteil (unbewusst) abhängig von einem vorgängigen, manipulierten Würfelresultat ausgesprochen: Diejenigen, die eine Drei gewürfelt hatten, sprachen sich für eine Strafe von vier Monaten bedingt aus, diejenigen, welche elf Punkte gewürfelt hatten, für eine solche von acht Monaten.

Weiter führte die Rede auch zur interessanten Hypothese, dass rechte, konservativ denkende Zeitgenossen empathischer sind, da sie sich um ihr Umfeld und soziales Gefüge eher Sorgen machen. Bei Gehirnscan-Untersuchungen in den USA, in denen demokratische und republikanische Wähler entsprechend untersucht wurden, konnte ein solcher Zusammenhang aufgrund der Aktivität in den unterschiedlichen Gehirnregionen entsprechend bestätigt werden.

Nach solch fundamentalen Zusammenhängen zur Logik und Unlogik des Denkens, geht der Vorhang auf für Emotionen – für das Spiel, und für die Ehrungen des heutigen Abends.

Präzision und Virtuosität

Das Spiel stimmt an zum Sächsilüüte-Marsch, worauf sich alle Anwesenden erheben. Anschliessend wird das Spiel begrüsst und die anwesenden Zoifter und Gäste darauf hingewiesen, dass es sich einige Stunden vorher schon in der Predigerkirche – wohlgemerkt in Uniform und Tschako auf dem Haupt – warm gespielt hatte.

Es beginnen nun die Ehrungen des Abends.

50 Jahre Zunftzugehörigkeit: Rolf Johann und Dr. Felix Rogner, welche 1969 – zusammen mit dem bereits 2009 verstorbenen Jean Leuthold – vom damaligen Zunftmeister, Dr. h.c. Max Steiner, in die Zunft Hottingen aufgenommen worden sind.

Rolf Johann kann aus gesundheitlichen Gründen an diesem Abend nicht anwesend sein. Als eher stiller Beobachter und treuer Freund haben seine Worte daher viel Gewicht, da er mit Fakten treffsicher argumentiert. Als langjähriger Mitinhaber und Bürochef der Bauingenieur-Unternehmung Ingenieurbüro H.R. Fietz AG war er voll in seinem Element: Integer und präzise. Der Zunftmeister hat Rolf Johann vorgängig zu Hause in Küsnacht besucht und mit ihm auf sein zoiftiges Jubiläum angestossen. Dieser lässt alle Anwesenden herzlich grüssen und ist an diesem Abend in Gedanken mit dabei.

Dr. Felix Rogner war bereits zur Zeit seiner Aufnahme in die Zunft Hottingen eine bekannte Persönlichkeit. Als Leiter des Ressorts Unterhaltung am Schweizer Fernsehen (ab 1968), zuvor 1963- 1967 als Leiter des Theaters am Hechtplatz sowie als Kultursekretär der Stadtpräsidenten Emil Landolt und Sigi Widmer (1964-1967). In dieser Funktion hat Dr. Felix Rogner auch dem 1966 gegründeten Theater am Neumarkt aus seinen Startschwierigkeiten geholfen, als die Stadt auf der Suche nach einem Austragungsort für zeitgenössisches Theater war. Es galt dabei die Devise „ja kein weiteres Kellertheater wie in Bern oder Basel“. Während einerseits ein „Linker“ in der Stadtverwaltung die Zunft am liebsten aus dem Neumarkt hinauswerfen wollte, kooperierte er als Repräsentant der Stadt sehr konstruktiv mit dem damaligen Zunftmeister der Zunft Hottingen und späteren Ehrenzunftmeister, Heiri Wipf. In eine Künstlerfamilie in Hottingen geboren, kannte er ja bereits Peter Eckert, mit dem er in die Schule ging. Später – in der Zunft – hat er sich mit grosser Ehre und Hingabe verschiedenen Aufgaben gewidmet. Besonders erwähnenswert sind z.B. von 1986 bis 2006 die insgesamt 21 Teilnahmen am Sechseläuten als Gottfried Keller, die vielen spannenden Vorträge und Beiträge an verschiedenen Monatsanlässen sowie der 1969 zur Aufnahme zusammen mit Rolf Johann geschenkte „Hottinger Zunftmarsch“, komponiert von seinem Vater Hans Rogner und arrangiert von Hans Möckel. Vor 10 Jahren, am Rechenmahl 2009, haben Rolf Johann und Dr. Felix Rogner anlässlich ihres 40-Jahr- Zunftzugehörigkeitsjubiläums jedem Zoifter die Meisterreden des Altzunftmeisters, Dr. Martin Eckert, in einem Buchband gesammelt geschenkt.

Der geehrte Felix Rogner fasst zusammen, dass er in dieser Zeit 8 Zunftmeister erlebt habe. Davon sind 4 verstorben, 3 sind mittlerweile Alt-Zunftmeister und 1 steht noch vor ihm. Er dankt den berührenden Worten der Laudatio des Statthalters, Dr. Michael Düringer. Viel kommentiert der Geehrte zu den Anekdoten des Statthalters und gibt dabei weitere Hintergründe preis. So zum Beispiel, dass bei der Frage vor dem Sechseläuten 1986, wer den „Göpf Keller“ mimen solle, sich die Einsicht durchsetzte:„Ein grosser Kopf, kleine Statur, kurze Beine: Das ist der Rogner“. Danach klärt er über das „Präsentli“ auf, das jeder Zoifter als Teil seines Tischgedecks vor sich liegen hat: 25 Rappen in glückbringenden 1- Rappen Stücken. Die Prägung ist von 1970, da es 1969 – dem Jahr seiner Aufnahme in die Zunft – keine 1-Rappen Prägungen gab. Im Übrigen könne man diese 1-Räppler noch bis 2027 bei der Nationalbank eintauschen… Abschliessend gibt uns der Jubilar noch mit auf den Weg, dass Tradition nicht das Halten der Asche sei, sondern das Weiterreichen der Flamme.

Das Spiel trägt anschliessend den als Geschenk des Jubilars neu arrangierten Hottinger Zunftmarsch vor, worauf sich der Zunftmeister mit den Worten bedankt: „Du Mann der klaren Worte und feinen Klänge.“

Weitere Ehrungen

Es folgen die Ehrungen zur 40-jährigen Zunftmitgliedschaft,, welche von Dr. Jörg Meier, Alt- Zunftmeister Dr. Herbert Neher, Alt-Archivar Hans Jörg Schibli und Dr. Heinrich Streuli gefeiert wird.

Dr. Jörg Meier wird für seine Genauigkeit im allgemeinen, sowie für seine juristische und militärische Karriere gerühmt. Auch seine Geselligkeit in allen Lebensbereichen sticht hervor.

Über Alt-Zunftmeister Dr. Herbert Neher gibt es vieles zu berichten, besonders eindrücklich ist der immer wieder erwähnte „frische Wind“, den er in all die verschiedenen zoiftigen Ämter eingebracht hat:

  • 1990-1994, 2. Zunftschreiber
  • 1994-1996, 1. Zunftschreiber
  • 1996-1998, Statthalter
  • 1998-2004, Zunftmeister, davon im letzten Jahr als „Primus inter Pares“ der Zürcher Zunftmeisterversammlung

Während Dr. Herbert Neher in seinem Abschlussbericht zur Amtsperiode als Zunftmeister schrieb, er hätte überaus viel erhalten, würdigt ihn Statthalter Dr. Michael Düringer in seiner Rede dahingehend, dass er in all diesen Jahren vor allem überaus viel gegeben habe!

Bei den vielen positiven Worten zur Person von Hans Jörg Schibli ist vor allem sein Schreiben an die Vorsteherschaft vom 27. August 1979 bemerkenswert. Dieses ist als Dank dafür zu betrachten, würdig befunden worden zu sein, ein Hottinger Zünfter zu werden:

„Seit ich mein Geschäft in Hottingen führe, habe ich mich zwar redlich bemüht, weder als Wüstling noch als skrupelloser Ausbeuter im Quartier in Erscheinung zu treten. Grössere Verdienste habe ich aber offensichtlich keine vorzuweisen. Es sei denn, die Bronzeplastik des verstorbenen Hans K. Schibli beim Eingang zu meinem Geschäftshaus werde als wesentliche Bereicherung des kulturellen Lebens im Quartier gewertet.

Wie dem auch sei, ich werde mir Mühe geben, der hochwohllöblichen Zunft nicht zur Schande zu gereichen, und freue mich auf die vollwertige Mitzünfterschaft.“

Der Statthalter bestätigt an diesem Abend, 40 Jahre später, dass er eine ausserordentliche Bereicherung sei, und bedankt sich für dessen langjährige Freundschaft.

Viele von Dr. Heinrich Streuli’s vielfältigen Lebensstationen werden nachvollzogen: Wie er nach einem Doppelstudium an der ETH (Dipl. El. Ing. ETH) und an der Universität (Wirtschaftswissenschaften) seine erste Stelle bei der Swissair antrat. Nach einem halben Leben in den Kantonen Schwyz, Basel- Land und Aargau, hat er nun wieder ins „gelobte Land“ von Hottingen zurückgefunden. Hier, im Alterszentrum, pflegt er nun neue und alte Kontakte gleichermassen und wird im Frühling an einem unserer zoiftigen Monatsanlässe zum Thema „Frühmittelalter“ referieren. Wir sind schon alle sehr gespannt!

Stellvertretend für alle 40-Jahr-Jubilare bedankt sich Hans Jörg Schibli und überreicht zwei Geschenke: Einerseits alte Krawatten für die Jungzoifter, zusammen mit einem Buch mit Erklärungen zum Krawattenbinden. Andererseits überreicht er dem „Säckelmeister“ (politisch korrekt „Zunftpfleger“) zwei Rucksäcke mit 2x 15 kg Einfränkler: Dem Zehnten der AHV minus Mehrwertsteuer.

Während Thomas Weber, der 25 Jahre der Zunft angehört und zur Zeit in den USA wohnt, sowie Christoph Sigrist, der 10 Jahre der Zunft angehört und sich auf dem Rückflug aus Südafrika befindet, abwesend sind, fiel Christian Jenny, der ebenfalls 10 Jahre Zunftzugehörigkeit feiert, mit einer kreativen Schnitzelbank auf den Zunftmeister und das Zwingli-Jahr 2019 auf (Anmerkung des Verfassers: Der Zunftmeister Marcus A. Gretener war im Jahr 2019 an einer Kunst-Aktion mit Zwingli-Statuen im öffentlichen Raum involviert):

Grawatte sind chli antiquiert!
Dë Bändel, wo de Hals verziert
isch ja als Schmuckstuck guet und rächt
Was dänked eusi Zöifter ächt?

10 Jahr simmir jetz a de Tränki,
da bruchts es gwitzters Gschänkli, tänki,
wo meh isch als es Fätzli Stoff,

für euse Marcüs-Viel-o-Soff;
es Gschänk, wo bitzli provoziert,
nüd nu de faltig Hals verziert.

Er häts konkret am Fernseh gseit:
Er isch totaal für Offeheit!

Wotsch wüsse, was das Sächsilüüte
und s Zöiftigsii gnau söll bedüüte,
dänn fröged Kreti und au Pleti 
de grossi Meischter, euse Greti!

Doch nani gnueg für euse Star,
Geschprächs-Therapeut und Missionar:
Muetig, fräch und zimli tough, 
händ er und de Grossmöischter-Pfaff
nach füechter Nacht mit Augeringli
beschlosse, z klone euse Zwingli!

Klima-Zwingli, Wirtschafts-, Sucht-
Entschlüünigungs-, – e Wucht

15 Stuck! Mir findeds guet!
15 Zwinglis lupfts de Huet.

Doch es fëëlt nach eusem Gschmack
de letscht, dë steckt na ime Sack.
Mer kännt en a diverse Dingli,

de unverzichtbar Schnurri-Zwingli:

Die unverwächselbari Friise,
wo trotzt der allerstiifschte Briise:
nach hine gleit mit aller Macht 
isch bändiged die Haartrachtpracht!

Dë Charme! Dë süesse Chnöpfli-Auge,
cha au die grüsigscht Zouftwii-Lauge
s Treuherzige uf kän Fall nëë.

Dë Smile! –mer merkt, er kännt de Drëh:
Schawinski wird bi ihm fasch nett,

de von Rohr nahezue adrett,
de linggi Länz, de rächti Stahl
gönd als Fründe usem Saal!

De Zwingli-Spiller Max nimmt frei
dë Hirs wird weich we Hirse-Brei
es lat de Bischof Gmür verluute
dank Odermatt föng er a tschuute!

Er brächt en Terrorischt zum Schmelze
de Kim Yong Un chäm ab de Stelze

de Putin gäbti Suntigsschuel
de Asad gäbti hër sin Stuel
de Donald schriibti Liebes-Twitter

s ‚wär uf de Wält gar nüm so schitter…

Drum: choschtis au en Huufe Gält:
de Schnurri-Zwingli mues um d’Wält!

Viel Licht und Schatten …

Der Zunftmeister stellt nun die beiden anwesenden Zunftmeister vor. Zunächst Dr. Felix Blumer, Zunftmeister der Zunft zu Wiedikon. Dieser ist bekannt vom Wetterbericht des Schweizer Radio und Fernsehens SRF, zu dem er vor vielen Jahren von der NAZ (Nationalen Alarmzentrale) wechselte, nachdem ihm dort der Bildschirmschoner voller Goldfische zu hektisch wurde. Beim SRF wird er nun nur noch selten gestört, ausser wenn z.B. ein Zuschauer anruft und sich beklagt, dass die vorhergesagte leichte Cirren-Bewölkung bei ihm gerade aus dem Keller gepumpt werde.

Die in lautem Bariton vorgetragene Replik des stattlichen („9:16 Bildschirm-Format“) Wiediker- Zunftmeisters wurde sogleich von Peter Eckerts Zwischenruf gestört, dieser werde nun sein Hörgerät abstellen. Der Hottinger Zunftmeister kommentierte darauf, dass aus dieser „rhetorischen Sonnenfinsternis“ einzig noch die folgende Bemerkung zu zitieren: Im Gegensatz zu seinen Wetter- Ansagerinnen sei er (Dr. Felix Blumer) immerhin breiter als 1 Pixel….

Dann zu Ruedi Vontobel, Zunftmeister der Zunft St. Niklaus und Primus inter Pares der Zunfmeisterversammlung: Normalerweise laden die Hottinger ja einen bunten Vogel oder einen Promi ein. Der unauffällige Kollege aus der Zunft St. Niklaus ist weder das Eine noch das Andere. Und in seiner Funktion als Geschäftsleitungsmitglied von IBM Schweiz geriet das ansonsten eher gesellige Vorbereitungsgespräch vor dem Rechenmahl zum „Techno-Lunch“: Statt Wein -> „Blöterli-Wasser“, und statt Lacher -> Protokoll auf dem Tablett-Gerät. Immerhin war die Replik aus „Züri-Seebach“ dann doch unerwartet starker Tubak: So bediente sich der St. Niklauser Zunftmeister Sprüchen des Trump‘schen Wahlkampfes, und münzte diese auf Hottingen um. Dies nur zum Start, um dann auf gewisse Ähnlichkeiten des Hottinger Zunftmeisters mit kürzlich veröffentlichten Reiterbildern des Nord-Koreanischen Despoten zu kommen. Zu guter Letzt wieder die Rückkehr zu Trump, mit einem entsprechend verzierten roten Käppi („Make Hottingen Great Again“) und dessen Ratgeber „Keep the momentum rolling, but don’t lose control“.

Feierliche Aufnahme von neuaufgenommenen Zünftern

In einer sehr feierlichen Zeremonie wird der eine der beiden neu aufgenommenen Zünfter, Tobias Kull, auch noch vor allen Zünftern aufgenommen. Nicolas Hirs, der zweite neu aufgenommene Zünfter ist auf Grund einer Grippe mit hohem Fieber leider abwesend. Nach der Begrüssung und Vorstellung von Tobias Kull durch den Statthalter, bedankt sich dieser im Namen beider neu aufgenommenen Zünfter mit einer emotionalen Rede: Schon seit Kindesbeinen haben beide ganz aufgeregt mit dem Zylinder auf den Ohren Sächsilüüte-Luft geschnuppert. Die Zeiten als Gesellen mit den schönen Anlässen beim Grillieren bei der Familie Dubler, dem Armbrustschiessen von Herbert Hediger oder das jährliche Skiwochenende in Davos werden ihnen unvergesslich bleiben. Über viele wichtige Stationen in der letzten Zeit konnten sie die Zoifter noch besser kennenlernen und haben gemerkt, wie vielfältig die Zunft Hottingen ist. Die Vielfältigkeit in Kombination mit den gemeinsamen Werten gefallen Nicolas Hirs und Tobias Kull besonders gut. Heute sei es in einer schnelllebigen Welt nicht mehr selbstverständlich, Traditionen zu leben und sich auf das Beständige zu besinnen. Umso mehr schätzen beide Neuaufgenommenen die Hottinger Zunft mit ihrem Leitspruch „Freundschaft in der Freiheit“. Gerne werde deshalb jetzt auf die schönste Stadt, die beste Zunft und die Freundschaft in der Freiheit angestossen!

Unsere Nachbarn…

Darauf sind unsere berüchtigten Nachbarn, die Singstudenten, an der Reihe. Der Zunftmeister bekundet jedes Jahr Mühe, den Sprecher unter den Singstudenten auszuwählen, und geht üblicherweise nach dem „Ausschluss-Prinzip“ vor. Sowohl Max Chapmann (Autor des Beitrags vom letzten Rechenmahl 2018), als auch François Geng (der Vortragende des Beitrags vom letzten Rechenmahl 2018 – über Nacht mit seiner lustig-holprigen Art fast zur Kultfigur geworden) werden sofort ausgeschlossen. Es bleibt übrig: Gian Müller, Sohn von Dr. Luka Müller (Kanzleipartner von Hottinger Zoifter und Altzunftmeister Dr. Martin Eckert) und TV-Sternchen Sandra Studer.

Dieser setzt zu einer fulminanten Rede an, in der er sich in erster Linie selber auf glorreiche Weise zelebriert („meine Herren, ich bin da“). Die Aufgabe, eine Rede bei den Hottingern zu halten, sei einfach: 1. „geputzt und gestriegelt“ auftreten, 2. es gibt gratis etwas zu trinken, und 3. man muss nicht rot werden, sowie etwa Marcus der Zunftmeister. Ausserdem solle man die inneren Werte hochhalten: Die Blut-, Zucker- und Leberwerte. Unter anderem bedankt er sich bei Martin Menzi, dass dieser damals beim Kennenlernen seiner Eltern eben nicht mit seiner Mutter getanzt habe…. Und an Martin Eckert beeindrucke ihn der wie mit dem Lineal gezeichnete Scheitel stets sehr. Es folgten weitere humoristische Bemerkungen über einige Zoifter und Jungzoifter sowie zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den Singstudenten und der Zunft Hottingen.

Der Zunftmeister war angetan von dieser Rede, er hätte einem Singstudenten solche Worte nicht zugetraut.

Himmlische Produktion

Der vorher noch „besungene“ Dr. Martin Eckert trat nun gemeinsam mit Reto König selber auf die Bühne: Die Repräsentanten der Altvorsteher hatten eine Produktion vorbereitet, in Form eines Zwiegesprächs zwischen „Zwingli“ (Eckert) und „Göpf Keller“ (Koenig) auf „einer Wolke im Himmel“. In diesem Zwiegespräch jagt eine Pointe die andere, und kaum einer der zoiftigen Freunde wurde verschont. Ein Auszug:

  • „die in der Hölle müssen ein Rechenmahl mit den Wiedikern besuchen; diejenigen im Fegefeuer ein Martini-Mahl mit der Zunft St. Niklaus abhalten“
  • „Du, was müffelet denn da so?“ „Stimmt, ich rieche es auch – ah, hier unten ist ja der Reitertisch!“
  • „Das viele Geld für die Zwingli-Statuen (Kunstaktion im öffentlichen Raum, 2019) wäre gescheiter in das Aussehen von Marcus Gretener investiert worden“
  • Zwingli: „Lieber kein Grab, als alle 2 Jahre ein Besuch von den Hottingern“

Der Saal tobte, ob diesen und vieler weiterer treffender Sprüche.

Ein kurzweiliger Abend neigt sich dem Ende zu

Nach der traditionellen und für die fortgeschrittene Stunde sehr passenden Stärkung in Form von Fleischkäse und Büürli inkl. hausgemachtem Senf kam die Danksagung:

Martin Schmitt und Thomas Heuberger wurde für die grossartige Vorbereitung des Rechenmahls 2019 gedankt, Walter Hensel, der als Fähnli-Obmaa zurücktritt, für seine Verdienste im Fähnli und Christian Stucki, der als Kinderchef zurücktritt, für sein sehr grosses Engagement mit der Kinderdelegation jeweils am Kinderumzug und der Kinderschar am Sechseläuten.

Ein spezieller Dank gebührt Herbert Hediger für das Organisieren eines jährlichen Armbrustschiessen- Anlasses für die Gesellen. In diesem Jahr war es sogar so, dass sein Enkel Pascal Lutz nach 6x Mal daneben schiessen sogar noch mit einem Volltreffer Schützenkönig wurde.

Ganz besonders ist schliesslich jeweils der gesamten Küchen- und Service-Brigade des Teams vom Zunfthaus am Neumarkt für deren ausdauernden und tollen Einsatz zu danken.

Ein wunderschöner Abend geht mit dem traditionellen Gruss des Zunftmeisters zu Ende, „Ich wöische de Obrigkeit, de Stadt, em Land und allne Zöifter Sege, Heil und Wohlfahrt.“

Epilog – Zahlenwerk für Statistiker

Nebst dem Stimmungsbericht in Prosa, soll das Rechenmahl 2019 auch quantitativ und statistisch korrekt erfasst werden:

  • Schluck aus dem Zunftmeisterbecher für geehrte, geduldete oder anderweitig erwähnte Gäste: 24
  • Glockenläuten des Stubenmeisters („Stubi“), Martin Schmitt, zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung: 26
    Besonders erwähnenswert hierbei ist die zeitliche Häufung in Form einer Gauss-Verteilung (passend, auch als „Glockenkurve“ bekannt): Während der Stubi zu Beginn des Rechenmahls noch eher kurz und energisch läutet, wird das Geläute im Laufe des Abends lang-andauernder, lauter und auch verzweifelter. Gegen Mitternacht hin übt sich der Stubi dann mit seinem zweitliebsten Instrument (eben der Glocke) zunehmend wieder im „Piano“, sei es aus Defaitismus zur Hottinger Ungezügeltheit oder aus eigener Müdigkeit.
  • Womit wir bei des Stubis liebstem Instrument wären: Seiner Stimme. Beim heurigen Rechenmahl muss sich der Stubi eigene Zurückhaltung im Umgang mit der Zoifterschar und mehr Appelle an die Selbstverantwortung auf die Fahne geschrieben haben. Nur so lässt sich der rekord-tiefe Wert von lediglich 12 „Abhocke“-Rufen an diesem Abend erklären. Verglichen mit den vorhergehenden Rechenmahlen und Sechseläuten, an denen mit den im Stakkato vorgetragenen „Abhocke“-Schreien das Tischbesteck bebte und die Gläser klirrten, ein sehr bescheidener Wert.
  • Zu guter Letzt wurde in den Reden der Gäste die obligate Erwähnung des Zunftmeister’schen Foulards insgesamt 4 mal eingebracht.
  • Die Singstudenten kamen dieses Mal ohne Buh-Rufe (in Worten: NULL) und mit einer lobenden Erwähnung davon.

Zurück zu Stimmungsberichte