Rede am Grab 1973 (Dr. Karl Enderlin)

Sechseläuten 1973

Hooch verwärte Herr Zouftmäischter, Vereerti liebi Gescht, Liebwärti Mitzöifter, Liebe Gopfrid Chäller

Ich mües e fyrlichi Aaschpraach halte hüt, soo staats gschribe im Programm und i de Yladig zum hüttige Taag, und s‘müesed nöd nu es paar Woort sy, vilmee öppis Ghaltvolls, hät de Zouftmäischter gmäint. S‘hät mi daa fascht echli gschoche, eme söttige Bott Folg z‘läischte. Gälled, vor eso vil Lüüt, gleerte, geerte, avancierte und arrivierte chönnt‘s äim scho fascht fürche z‘rede. – Und doch, liebe Göpf, womer mich gfrööget hät, han ich äifach nöd chöne näi säge; und wänn ich au käin Volksredner bin und au vo bruefswäge käi psunderi Voruussetzige mitbringe, um am hüttige Aalass und Dynere Persöönlichkäit grächt z‘wäärde, so han ich doch äifach müese anestaa.

Derfüür chönnt ich e paar Gründ aagää: Z‘eerscht emaal bin ich doch als äine von de sibe Uufrächte us Dim Fäänli fascht echli verpflichtet und dörf Dir schliessli käi Schand mache, eso quaasi als Dyni Schöpfig oder als äis vo Dyne legitiime Chinde. Zum andere isch es e chindlichi Verbindig vo Dir und äim vo myne Grossvättere, won au Chäller ghäisse hät und i Gstalt und Ghabe und bis uf d‘Brüle und d‘Fröid am Rootwy Dir gliche hät, wo mich mit Dir verbindet vo Chindsbäine aa, und schliesslich han ich mich scho als Mittelschüeler eso zu Dir zoge gfüült, das ich freiwilig i nächtelanger Lektüüre fascht ali Dyni Büecher gläse han.

Ir wäärdet mit Rächt frööge, wie chunt en Tokter dezue, über en Dichter z‘rede. Wott er ächt d‘Chrankegschicht vom Chäller vorläse oder öpe di letschte Taag und s‘Stäärbe schildere? Aber näi, da müend er käi Angscht haa. Ich wott au nöd mit em Erwin Jäckle wettyfere und mich uf literaarisches Glattys begää. – Gäll – erschtens langet mir s‘Glattys uf de Straasse und uf den Ysbaane volluuf und zwäitens bin ich ganz äifach z‘wenig gschuelet i dere Richtig. Es passti au gaar nöd is Gwändli vomene Handwerchsmäischter us em Fäänli – daa derzue bruuchtis scho gedigeneri Poschtuure imene Voorstehergwändli oder öpe sonen Hobby-Germanischt wien öise hooch eerewärti Herr Zouftmäischter. Myni Woort chönnd drum ganz äifach nüüt anders sy, als es Zügnis, e ganz persöönlichs Zügnis vomene Zytgenoss von Öi, und de Versuech, d‘Erschynig vom Gopfrid Chäller vor allem als Mänsch z‘gsee, mit den Auge vomene Mänsch im zwänzigschte Jaarhundert, aber in doch z‘gsee als Mänsch us em nüünzääte Jaarhundert, i syne daamaalige Verhältnis.

Los Göpf Chäller, muesch jetzt nöd di ganz Zyt dry rede und säge, ich sig en Schnöri und Du welisch Dyni Rue. Schliesslich hät mich de Zouftmäischter ghäisse z‘rede und zuedeem bin ich ja äis vo Dyne Chind, und da chasch scho echli naachsichtig sy. – Übrigens bisch Du im Grüene Häiri au mängisch echli langfädig gsy, drum muesch mer scho zuegestaa, wän ich hüt halt au echli länger wiird.

Ich wäiss au, dass nach Dynere Uuffassig vo de Gstalte us em Fäänli die Alte ebe nöd chönd Reede halte und dass jetzt äigentli de jung Hediger und nöd de alt sött rede, aber was ich jetzt säge möcht, isch ja schliesslich gaar käi groossi Reed, sondern nume eso quaasi „en famille“ e paar Woort voHäärz zu Häärz. Nimm mers bitti au nöd übel, dass ich Züritüütsch rede und nöd imene pflägte Hoochtüütsch, wies Du amigs gmacht häsch. Ich wett dermit s‘Skizzehafti vo myne Gedanke understryche und au i de Formuölierig de Stimig vom Momänt la Uusdruck gää.

Du häsch mir die Uufgaab won ich mer gstellt han, liecht gmacht, dänn wänn ich vo Dir als Mänsch prichte will, mues ich nume uf das zruggryffe, wo Du öis hinderlaa häsch. Wie nöd vil anderi Dichter häsch Du Dyni uuräigenschte Aalige daargstellt, in irem Ghalt uurwüchsig und unmittelbaar und drum immer jung. Da gits käis Doppelläbe vomene edle Dichterling und emene mänschlich unzuelängliche Privaatläbe. Dyn Charakter, Dyn Lydens- und Läbeswääg, aber au Dyni Soorge und Mäinige häsch Du ungschminkt erstaa laa i de Bildere us Dyne Jugedjaar, dänn aber vor allem i Dyne Gedicht und natüürli au in allne Proosa wärk.

So wie Dys Läbesschicksaal zäichnet isch vomene kontraschtryche Hell-Dunkel mit ere Voorliebi zu düschtere Tööne, eso wie Dys maanisch-depressiivi Wese, Dyn Alltaag, Dich i Hööchene und Tüüff hät la läbe, und eso wie Dyn choleerische Charakter Dich hät explodiere laa und eso gwüssehaft und pedantisch wie Du i de Regel Dyne mänschliche Verpflichtige naachoo bisch, genau esoo sind au Dyni Bilder us de Jugedjaar en Spiegel vo all Dyne Lebesnööt und -fröide. S‘glychi findt me i lyrischer Überstäigerig und Verkläärig i Dyne Gedicht: und wie mänge Läbesschmäärz hät im Grüene Häiri oder i irgend ere Nowälle syn Niderschlaag gfunde. Me hät Dys dichterischi Werch scho als gigantischi Auto-Psychoanalyse bezäichnet, was natüürli nu inhaltsmäässig zum Täil richtig sy mag.

Sicher isch im Vordergrund vo Dym Läbe s‘Mänschlichi, s‘Gägewärtigi und d‘Hööchene und Tüüff vom mänschliche Schicksaal gsy, es Aalige wo Dich fascht verrisse hät. Dass Du Dichter woorde bisch und nöd Maaler, vilicht au Revolutionäär oder Politiker, isch wool e Sach vo Dyne Aalaage gsy. Als Künschtler, das häisst Missionaar, natüürli nöd im Sinn vomene chrischtliche Prediger, sondern wyter gfasst, als Mänsch mit de innere Verpflichtig, öppis z‘chünde und das glychzytig no zgschtalte, sind literaarischi Kunschtwärch entstande, die entsprächendi Intensitäät und Tüüffi widergänd. Als Spross us em äifache Bürgertum häsch Du dezue käi groossi hischtoorischi Voorwänd pruucht. Imene Brief an Dichter Eduard Dössekel staat drum au gschrybe: „Obgleich ich nun für meine speziellen dramatischen Geschäfte keine historische Gelehrsamkeit brauche, vielmehr lediglich auf mein Herz, meinen Kopf und auf die reine Menschlichkeit angewiesen bin,…“

Worum das esoo gsy isch, verstaat mer besser, wämme wäiss, wie härt und schwär s‘Schicksaal mit Dir umgsprunge isch. Eersch nach villne Jaare vo Empeerig, Hunger und Verzwyflig, häsch Du Dir müesam Dyn Wääg chöne erkämpfe, und doch… Wie wärs usechoo, wänn s‘Schicksaal s‘güetiger mit Dir gmäint hetti? Wäärsch vilicht en satte Jurischt oder susch e gstudierts Huus woorde, wänn Du säb maal nöd zur lnduschtrieschuel useghäit wäärisch, mit eme runde Buuch und eme äigene Hüüsli i de Ängi usse, und susch nüüt… Und wänn‘s Dir besser gloffe wäär bi Dynere Maalerei, hetsch vilicht e paar hundert zwäitklassigi Genre-Bildli gmaalet und verchauft, wo hüt kän Mänsch mee wett aaluege. Dir isch das bekannt gsy. Drum staat au i äim vo Dyne Briefe wool richtig:

„Bin ich aus dem Dreck hinaus, so werde ich mich freuen, eine gute Zeit an Wind und Wetter gestanden zu haben. Denn meine Maxime ist geworden: Wer keine bittere Erfahrung hat und kein Leid kennt, der hat keine Malice und wer keine Malice hat, bekommt nicht den Teufel im Leib, und wer diesen nicht hat, der kann nichts Kernhaftes arbeiten“.

Du häsch also „jaa“ gsäit zu Dym Schicksaal und das isch wool au de Grund gsy, dass Du immer häsch chöne wyterkämpfe. Di glych Erkänntnis, wo de Kolbenheyer i sym Pracelsus-Romaan laat säge: „Ein glattes Herz taugt nichts, hinter den Narben liegt all unsere Menschlichkeit“, laat au Dich im obe zittierte Brief säge: „Ich hoffe den einen oder den anderen, der heut ein gewichtiges Gesicht macht und mich für einen Schlufi hält, zu überdauern.“ Bewundernswärt isch i myne Auge vor allem, wie Du allne Widernisse zum Trotz und mängisch dur Misserfolg eerscht rächt i Kampfstimig braacht, mit Dym unbüügsame Ysatz und Kämpferwile, mit Dyner Läbeskunscht und dichterische Verkläärig öppis Positiivs gmacht häsch.

Vom Gopfrid Chäller syner Aart z‘rede, und nöd über syni zwüschemänschliche Bezieige z‘verzele, vilmee vo de Schwirikäite, woner debii ghaa hät, wäri en wesentliche Charakterzuug verchäne. Ich dänke daa deby weniger a syni introvertierte Aanööcherigsversüech as schööni Gschlächt, als vilmee a syni Stelig i de Öffentlichkäit. D‘Société vo Züri hät in nie aagnoo, mit Uusnaam vilicht vom Alfred Escher, woner gäärn z‘Gascht gsy isch. De Chäller sälber hät sich Zytläbens immer echli am Rand vo de Gsellschaft empfunde. Sit er als Chnaab vo de Induschtriischuel wäggwise worden isch, hät er inere ständige Angscht gläbt, er sig en Versäger. Nu i der Anonymitäät vo syne Usslanduufenthält und nachdem er z‘Züri syni Staatsschriiberstell überchoo hät, isch‘s em glunge, zunere fürs chünschtlerischi Schaffe nootwändige Sälbschtachtig z‘choo. Syn Fründes-chräis hät sich vorneemli us Künschtler und daa dervoo mäischtens usswärtige rekrutiert oder us rächt äifache Suufkumpaane. – De Grund vo syne Schwirikäite isch wool mee a sym choleerische und undiplomaatische Wäse gläge und a synere Kompromissloosikäit. Im Alter isch derzue no e gwüssi junggselehafti Rücksichtsloosikäit und e gwüsses Misstroue choo. Trotz synere Aart hät er uf politischer Ebeni wäge syner objektiive Haltig äu bi Gägner Achtig gnosse.

Liebe Göpf Chäller, dyn gäischtig-religiööse Horizont isch seer wyt gsteckt gsy. Zwaar bisch Du allem klerikaale Dänke abhold gsy und de Liebgott häsch Du despektierlich uf d‘Stuufe vomene röömische Konsuul absinke laa; und doch chönt me nöd säge, Du sigisch areligiöös gsy. Vilicht isch es en Aart en philosoophische Pantheismus gsy, dem Du ghuldiget häsch, wo sich inere unerhöört fyne Form vo Reschpäkt vor aller Kreatuur güsseret hät, wien öppe i dem zaarte Gedicht „Eine kleine Passion“, wos Stäärbe vomene Müggli schilderet.

Sicher hät de Ludwig Feuerbach, en Philosooph, wo hüt na seer aktuell isch und gäärn zittiert wird, en gwüsse Yfluss ghaa uf Dys Wältbild, vilicht aber doch mee bestäätigend als offebaarend. Vilicht hät d‘Bekanntschaft mit dem Philosooph aber doch dezue byträit, Dich us de Wulche vo Tröimereie uf de Bode vo de Dissytikäit z‘bringe. Uf all Fäll wird mer Dir wool chuum grächt, wämmer versuecht, Dich als vertröimte Romantiker abzstämple. Vor alem i Dyne politische Üsserige häsch Du doch en – für en Dichter erstuunliche – Realismus und staatsmänischi Wytsicht bewyse.

Vorredner händ gwäärwäisst, ob Du, wänn hüt geboore, wool en Exischtänzialischt worde wäärisch, en Linggs-radikaale, en Hippi oder so öppis äänlichs. Und das bringt öis zur Fraag, wie Du Dich zur Gägewaart vom zwänzigschte Jaarhundert gstellt hettisch. Ich möcht mich da nöd uf d‘Escht uselaa, und zwaar weniger, wil ich mich da nöd entschäide chönti; ich glaube, es dörfti klaar sy, i welne Chräise oder doch wenigschtens bi welne Sympatisante me Dich hüt sueche müest, Dich, wo Du Dich bsunders i Dyne jüngere Jaare, wie mer hüt würd säge, usserhalb vom Estäblischment gfüült häsch. – Ich zöögere vilmee, wil ich mir über d‘Berächtigung vonere söttige Fraagestellig etwelchi Gedanke machti – z‘fürderscht, wil die soziaal-gsellschaftliche Probleem vom nünzääte und die vom zwänzigschte Jaarhundert nöd di glyche sind, und d‘Zylsetzige i de rebelierende Chräise und iri Motiiv vomene ganz underschidliche Gedankeguet träit sind, bsunders aber, wil ich hinder all dene -isme und Zytströömige immer versueche, s‘Individuum z‘gsee und wil d‘Praxis vo allne Parteie und Bewegige doch wytgehend vom Mänsch und syne Qualitääte abhangt, wo si voorträit. Das wil häisse, das en Gopfrid Chäller au imene Rockergwändli oder im Chräis vom autonoome Jugedzäntrum halt immer na em Gäischt naa en Gopfrid Chäller blibe wäär und daadermit sich au andersch verhalte het.

Drum möcht ich hüt säge, dass das, was Du Gopfrid Chäller für öis a mänschliche Qualitääte vergägewärtigsch, Wärt sind, wo über d‘Jaarhundert iri Berächtigung und Gültikäit bhaltet. D‘Probleem möged gänderet haa, d‘Gsichtspünkt wäärdet anderi sy und d‘Akzänt chöned andersch lige. D‘Aart aber, mit dere Du Probleem aagange häsch, sind au hüt na byschpiilhaft, und mir chönd getrooscht nöd nume Dyn Läitspruch us em Fäänli ufs Banner schrybe, sondern au unbedänkli Dym ganze Wese naayfere. Ich dänke da ganz speziell a Dys Engagement all Dyne Zytprobleem gägenüber, Dyni Intresse a de gäischtige Ströömige, vor allem aber und ganz bsunders Dyni Läbesnööchi, Dyni Mänschlichkeit und d‘Achtig vor em andere. Mir händ Achtig vor Dir, wi Du Dys Läbe gmäischteret häsch, nöd wäge Enttüüschige und Misserfölg verzwyflet bisch, sondern immer wider nöi d‘Chraft gfunde häsch, zunere lüüternde und kläärende Objektivierig. – Du häsch daa dermit nöd nu Dys äige Läbe gmäischteret, bis zum letschte, em Toodeskampf, Du häsch au öis es Byschpiil gää.

Liebe Göpf, ich gseene es nervööses Runzle vo Dyner Stirnfalte. Dyn erschte Biograaf, de Leerer Berchtold, hät prichtet, das sig es untrüüglichs Zäiche gsy defüür, das Du bald explodierisch. Du heigsch au im ryfere Alter mängisch nöd vor Handgryflichkäite zrugg gschreckt. Ich wott drum jetzt au nüme länger wäärde. Läb wool – für es Jaar oder so häsch jetzt wider Dyni Rue.

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