Rede am Grab 1993 (Dr. Karl Enderlin)

Sechseläuten 1993

Hochgachtete Herr Zouftmeischter
Hockverdienti Herre Altzouftmeischter 
Liebi Mitzöifter, Zouftgselle und Gescht

Won ich vor es paar Wuche vom Zouftmeischter de Uuftrag übercho han, hüür, preziis 20 Jaar nach minere erschte Reed da am Grab vom Gottfried Keller z‘rede, bin ich scho echli erschtuunt gsi. Ich hammer gseit, entweder hät de Zouftmeischter jetz än zwänzgjäärige Turnus iigfüert und ich müest demit rächne, zu miim 90te Geburtstag es dritts mal z‘rede oder aber de Zouftmeischter hät min Rücktritt vom Amt als Fäänlichef zum Vorwand gno, mir Glägeheit z‘gää, namal über öppis z‘rede, wo mir uf em Herze ligi. Dademit wär aber eigetli au scho s‘Thema vo miinere Aschprach gää, dänn vo was anderem müest ich dänn rede, nach 33 jäärigem Marsch zum Böögg, i dem Gwändli und mit dem Gweer, em Tschööpli, wo scho min Vatter i de gliiche Funktion treit hät, als ebe „vom Fäänli vo de sibe Uufrächte“. S‘Fäänli, wo mit siim Waalschpruch, gschtickt i goldige Buechschtabe uf grüener Side, au d‘Devise vo dr Zouft gää hät: „Freundschaft in der Freiheit“. Aber lönd Si mich doch zerscht emal verzele, wie‘s überhaupt zu dere Verbindig vo dr Zouft Hottinge und de Gschicht vom Fäänli cho isch. Früener, und das gilt bis id‘ 20er Jaar vo öisem Jaarhundert, isch d‘Koschtümierig vo de Zöift nanig eso greglet gsi wie hüt. Da hät mer näbet de hischtorische Gwänder au d‘Landestrachte, fremdländischi Chleider und Fantasiigwändli chöne gsee. S‘ ZZZ hät amigs en Aalauf gno, zum da echli Ornig dri z‘bringe. So hät‘s emal gheisse, d‘Zöift sölled doch de griechisch Götterhimmel darschtelle. Anno 1926 isch dänn aber vom ZZZ beschlosse worde, d‘Zöift sölled us em Aalass vom 100schte Geburtstag vom Gottfried Keller (19.7.1919) und vom 100schte Geburtstag vom Conrad Ferdinand Meyer (11.10.1925) däne iri Werk wider uferschtaa laa. Bi de Uusmarchig vo de verschidene Sujet hät‘s Zouft Hottinge ufs s‘Tanzlegändli, d‘Eugenie, de Monsieur Jacques i Rom und ebe-n-au ufs Fäänli vo de sibe Uufrächte preicht. Vo dene allne hät, wienir wüssed, nu s‘Fäänli überläbt und marschiert drum hüür i sim 68igschte Jaar zum Böögg, zäme mit de Hermine und irne Fründine, zäme mit de Berner Schtudänte, zäme au mit de zwei chuurlige Ämitaler Büürli. Sii alli ghöred eigentli zu de Gruppe vom Fäänli, so wie sich das de Gottfried Keller vorgschtellt gha hät.

D‘Zouft hät nolens volens mit dere Gruppe au dere-n-ire Waalschpruch überno, wo i de Oore vo mängem junge Zöifter scho echli pathetisch, altväterisch und antiquiert tönt. Es hilft eim, wämmer sich überleit, i welere Ziit öisi Novälle entschtande-n-isch. De Gottfried Keller hät uf siiner Heireis us Berlin, anno 1855, au en Uuftrag mit heipracht vo siim tüütsche Verleger, er sölli doch als Biitrag zum Auerbach‘sche Volkskaländer doch e paar typisch schwiizerischi Begäbeheite schildere. 1860 isch d‘Gschicht vom Fäänli de erschti Biitrag gsi. D‘Schwiiz isch dazmal, nach de Napoleonische Wirre, wider langsam zumene eigeständige Land worde, hät d‘Sonderbundschrieg hinder sich pracht und 1848 e neui Bundesverfassig übercho. I-n-echli übertribenem Schtolz hät drum de Gottfried Keller über siis Werchli gseit: „Es kann als Ausdruck der Zufriedenheit über die vaterländischen Zustände betrachtet werden.“ Was sind jetz aber d‘Uussaage vo dere Novälle? Me findet si vor allem i de Reed vom junge Hediger und die zeichned sich uus dur e zum Teil fantastischi Formulierig und nöd immer emene klare Inhalt. Wänn zum Bischpiil de Gottfried Keller de jungi Hediger laat la säge i Bezug uf die föderalistischi Schtaatsform vo de Schwiiz „Diese Mannigfaltigkeit in der Einheit ist die rechte Schule der Freundschaft“ und wänn‘s dänn wiitergaat „erst wo die politische Zusammengehörigkeit zur persönlichen Freundschaft eines ganzen Volkes wird, da ist das Ganze gewonnen“, da schtuunt me über die Mischig vo ehtische Begriffe und Politischem. Wänn er dänn aber furtfaart „was der Bürgersinn nicht ausrichten sollte, das wird die Freundesliebe vermögen und beide werden zu einer Tugend werden“, dänn fröögt me sich scho, isch es em Gottfried Keller na ernscht, oder macht er sich über die Biertischpolitik vo dene alte Sibe luschtig, nametli deet, wo si sich mit dem doch völlig apolitische Liebeshandel vo dr Hermine und em Karl befasse tüend. Schön, mer wänd dere Ziit z‘guet halte, si sigi dr Romantik verhaftet gsi. Und wämmer eus a die Aquarell us de Jugedziit vom Gottfried Keller erinnered, dänn schiint mer die Erchlärig ja nöd eso abwägig. Sicher isch es aber nötig, dass mer versueched, eus Klaarheit drüber z‘verschaffe, was de Dichter sich under de beede Begriff Freiheit und Fründschaft au vorgschtellt hät. Da derbii hilft eus en Blick i d‘ Schtudierschtube vom alte Hediger. Deet findet mer imene Büecherregal, i Folio punde, öpe 20 Jaargäng vo de Ziitig „Der Schweizer Republikaner“, ferner de Roteck, das isch e ziitgenössisches tüütsches Gschichtswerk näbet de Schwiizergschicht vom Johannes von Müller und emene paar nüd nächer definierte Pamflet. Das isch e Uusrüschtig vomene historisch interessierte Politiker. Uufschlussriicher sind aber die Helge, wo i dem Schtübli hanged. Es sind Bilder vom Columbus, vom Hutten, Zwingli, Washington und Robespierre. Alles Lüüt, wo sich uf irem Gebiet als Pionier verdient gmacht händ. Wämmer eus derzue na erinnered, was de Frymann sich für siini Red vorgna hät, die Hasstirade gäge d‘Jesuite und d‘Arischtokrate, dänn isch es klar, dass es sich bim Freiheitsbegriff i der Novälle nöd um die geischtig-filosofisch Freiheit, sondern um de politisch Freiheitsbegriff handlet, besser na bekannt i dr französische Form vo dr liberté, und dass me de Fründschaftsbegriff vom Gottfried Keller em Uusdruck fraternité anächere sött. De Begriff liberté hät au Mitti vom 19. Jaarhundert na en Klang gha. Allerdings kei liberté, wo sich de Bürger hinder enere anonyme Masse verschteckt, sondern bewusst siini Mitverantwortig treit. Ich zitiere i dem Zämehang wider: „Keine Regierung und keine Batallione vermögen die Rechte und die Freiheit zu schützen, wo der Bürger nicht im stande ist , vor die Haustüre zu treten und nachzusehen, was es gibt.“

So wiit, so guet. D‘Formulierige bliibed aber doch utopisch, die Uuffassig händ scho Ziitgenosse vom Gottfried Keller teilt, wie me us em Briefwächsel vom Gottfried Keller mit siim Fründ Adolf Exner gsee chan. Us Aalass vo dä 2. Veröffentlichung vom Fäänli im Raame vo de Zürcher Novälle ratet er im dringend, er mögi doch die vaterländische Ergüss echli chürze. Näbed dene politisch-ethische Uussage findet miir i dere Novälle aber na anderi. Wie vertrout tönt da doch de Uusruef „Achte jedes Mannes Vaterland, aber das deine liebe“, wo zeigt, dass d‘Usenandersetzig mit em Fremdländische au damals scho es Aalige gsii isch.

Wie sympatisch isch au d‘Schtellig vo dr Frau in eusere Gschicht. Ich tänke a d‘Frau vom Hediger, wo mit irem Sinn für s‘Realistischi en wooltätige Gägepool bildet gegenüber de Utopii und Autoritätswuet vo de Manne, und wo dur ire Sinn fürs Praktische irem Soon us dä Patsche hälfe chan, will sii weiss, wiemer es Gweerschloss wider zämesetzt.

Villicht di schönschti Uussag isch aber kei literarisch schöngeischtigi, sondern d‘Idee vo dere Gruppe vo alte Manne und ires Wirke. Di politisch Zälle isch ebe kei Erfindig gsi vom Lenin, die hät me scho vill früener kännt. Sii isch näbed em moderne Team-work es schööns Bischpiil vo dr Chraft, wo chan uusga vonere chliine Gruppe vo Gliichgsinnte. En andere Dichter seit derzue: „Im Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland.“ Was bedüütet aber d‘Gschicht vom Fäänli im uusgehende 20. Jaarhundert? Isch si na mee als en amüsante Schwank und en utopischi Träumerei? Wo fändi de homo faber vom 20. Jaarhundert na Platz i siim Terminkaländer für zweimal i dr Wuche stattfindendi abigfüllendi Diskussione über es politischs Thema. Was bedüütet na s‘Aalige vo Freiheit und Fründschaft? Gaats hüt nöd mee um Rächt? Rächt, wo me forderet vonere anonüm beamtete Gsellschaft dur e möglichscht effizienti Interesseverträtig. Ich fröge-n-au, i wellere Männergruppierig findet me hüt na en Uusgangspunkt für engi Fründschafte, wie si de Gottfried Keller beschwore hät? Ich weiss es nöd. Was eusi Novälle na em Zöifter vo Hottinge bedüütet, söll jede für sich beantworte, villicht nach ere erneute Lektüre amene verrägnete Suntignamittag. Für mich isch d‘Novälle vom Fäänli e tüpisch schwiizerischi Erzellig, villicht mit irne utopische Ungreimtheite. Was isch scho perfekt? Ich wett namal uf die Verbindig vo Fründschaft und Freiheit zruggcho un da frög ich mich, liit nöd grad im Kampf um die Verbindig de Schlüssel fürs z‘standcho vo so mängem „fründeidgenössischem Kompromiss“? En fründeidgenössische Kompromiss, wo ebe nu mögli isch, wo en Achtig beschtaat, e menschlichi Achtig vor em Mitmänsch und Miteidgenoss, villicht sogar e Fründschaft mit dem, wo s‘Heu nöd uf de gliiche politische Büüne hät. D‘Bereitschaft zu Kompromiss, wo vo mängem Ussländer belächlet wird; d‘Fähigkeit aber au zu positive politische Kompromisse, um die miir aber au eerli beniidet werded. Villicht isch das de Wunschtraum gsi vom Gottfried Keller, won er formuliert hät i de Forderig vo Fründschaft us Freiheitsliebi oder Fründschaft vo Vaterlandswäge. Mit dr Betonig vom erschte Wort von eusere Zunftdevise, nämli „Fründschaft i der Freiheit“ chunnt si au en neue, tüfere Sinn über, für de me au im 20. Jaarhundert voll chann iischtaa, will so as Verantwortigsbewusstsii und uf d‘Rücksicht fürs Ganzi appelliert wird.

Eusi Novälle mag literarisch keis Meischterwerk sii, si hät aber so vill Charme und straalt i irer Schpraach so-n-e Wärmi uus, dass me si eifach muess gern ha. D‘Gschicht basiert nöd uf ere historische Begäbeheit, die sibe Manne sind i Tat und Waret nöd am Schützefäscht gsi, aber s‘Fäänli läbt und wirkt umso lebändiger i dr Zouft Hottinge, zur Freud vo de ganze Zouft und sicher au em ganze zöiftige Züri, wenn die alte Manne jedes Jaar neu in alter Frischi zum Böög marschiered – und zu Ehre vom Gottfried Keller.

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