Rede am Grab 2001 (Heini Dubler)

Sechseläuten 2001

Gottfried Kellers Läbe hät vor mehr als 180 Jahre in Züri sin Afang gno. Nüt hätti damals und au vili Jahr spöter nöd druf hidüted, dass öiseri Zouft vor genau 70 Jahr d‘Aregig gmacht hät, a jedem ungrade Sächsilüüte morge en Abstächer a sini letschti Ruhestätte zmache um öisem berüemte Mitbürger di verdienti Ehr z‘erwiese! Kellers Stärn hät ja erst viel spöter agfange lüchte – dänn aber grad gwaltig! In öisere Zouftchronik staht, dass de nachmaligi Zouftmeister Hans Weissenberger im Jahr 1931 die Tradition is Läbe gruefe hät. Bis uf wenigi Usnahme wägem zweite Wältkrieg isch also jedes zweiti Jahr en Hottinger Zöifter genau da gschtande, wo ich hüt die grossi Ehr han zu Ihne, liebi Gescht und Mitzöifter, dörfe z‘rede.

Gottfried Keller, än wärschafte Zürcher, häts trotz oder villicht grad wäge sine vile nume allzu mänschliche Züge zu hohem Asehe und Ehre bracht. Damals i de 30er Jahre, wo öisi Zouft wie viele anderi auch a schwierigi Ziit hät müse düremache, isch de Gottfried Keller zumene zuesätzliche Symbol für de Zämehalt vo der Zouft worde. Ihm und au am Hans Weissenberger wämer defür ganz herzli danke säge. Dass mir Eus i so grosser Zahl au hüt a dem kalendarische Früehligsmorge zäme finded, hät wenig oder gar nüt mit mir, ihrem hütige Sprächer z‘tue! Nei es hät sehr viel mit öis, mit öiserer Zunft z‘tue! Sicher gahts mängem unter Euch jedesmal bi dem fiirliche Momänt ähnlich wie mir. Es Sächsilüüte ohni dä Bsuech am schlichte Grab vom Gottfried Keller isch fascht nume as halbs Sächsilüüte (auch wänn öis öppe Wind, Schnee und Wätter um d‘Ohre blased). Da versammlet mir öis vor em grosse Fäscht, und fühled ois wie inere grosse Familie ufgobe; mir g‘höred zäme! Mir sind no chli zrugghalte und doch scho voller Spannig, in Erwartig uf dä Fäschttag wo uf öis zuechunt! Fascht adächtig sind Blicke ufs Grab und uf de Sprächer grichtet. Es isch dä einzig Momänt am hütige Tag wo mir no ganz unter öis sind, no wenig Gescht, no keis Spiel isch debi! Isch das nöd en ganz bsundere Uftakt zu öisem Fäschttag, um de öis vili anderi Zoift nume benide chönt! Es wäri schön, liebe Mitzünfter, wänn au die Tradition zu Ehre vom Gottfried Keller, aber au ganz bewusst im Sinn vonere laufende Pfläg vo öisem Zouftläbe no lang chan ufrächt erhalte bliebe. Mir dörfed öis aber alli,so meint ich, Überlegige astelle, wie die Fier au i de witere Zukunft söll usgseh. Grad de Gottfried Keller wär sicher sälber gspannt uf irgendwelchi Änderige.

De Gottfried Keller wäri aber ganz sicher au tüüf grührt über dä imposanti Uufmarsch und die bunti Schar vo Zoifter vo Hottinge. Au würdi er die Ehrbezügig ohne Fäderläse ganz eifach gnüsse! No im fortgschrittene Alter, obschon er sälber eigentlich vo sinere Bedütig überzügt gsi isch, hät er Annerchänig und Zueneigig brucht. 1880 hät er de Lydia Welti-Escher es paar Föteli vo sich sälber gschickt. Derbi hät er zbemängle ghaa, „dass diese ‚schofe‘ geraten seien und eher das Bild eines alten Vorsingers und Schnapsbruders vorstelle, als dasjenige des ersten Schöngeistes und ‚arbitri elegantiarum‘ des Jahrhunderts“. Die Bemerkig isch sicher nöd ironisch gmeint gsi – er isch ganz eifach vo sinere Bedütig als Schriftsteller überzügt gsi. Ähnlich selbstsicher hät er emal sim Verleger ‚Vieweg‘ gschriebe, nachdem er wieder emal mit der Ablieferig vo sinere versprochene Arbet in Verzug grate isch und er s‘Honorar scho lang im vorus übercho hät, „dass der ‚Vieweg‘ dereinst als Mäzen eines Literaten, der in die Geschichte eingehen werde, sich werde brüsten können“. In unzählige Briefe a sine Fründe und Verleger hät dä Gottfried Keller immer wieder Annerkännig vo sine Werk aber au vo sich sälber gsuecht. Sini Korrespondänz zeigt aber au viel Sinn fürs Geschäftliche. Es entstaht s‘Bild vomene ganz gwönliche Bürger mit all sine chline und grosse Sorge. Administrative Chliechram häts au damals scho gä, Termine händ müesse iighalte werde, finanzielli Engpäss händ zuesätzlichi Schriibarbete verursacht und das alles ohni PC und e-mail, ohni Sekretärin oder en Assischtänt.

„Morgen wird das Ding schon fertig werden; dann freilich muss ich es noch abschreiben, weil ich Lump noch keinen Schreiber vermag und es auch keinem geben konnte“. Da debi häts sichs ums Fähnli vo de siebe Uufrächte ghandlet. I setige Briefe chömed em Gottfried Keller sini Züg, sini Sorge und Freude, aber au sini politische und philosophische Asichte ungschminkt zum Vorschi. Er isch en unbequeme Bürger, Politiker aber au Künschtler vo Wältruhm gsi (vergässe mer nöd dass sini Bücher no bis Endi vo de 20er Jahre im letzte Jahrhundert zu de meischt gläsene im dütsche Sprachrum ghört händ). Dä Gottfried Keller – wänn er hüt da als 20-jährige würd uftauche, so würdi er zwei Sache bestimmt „easy“ finde. Da wär emal sis Konterfei, wo jedes Jahr no schöner useputzt und no jünger würkt. Dänn gsächt er die tolle Manne vom Fähnli vo de Siebe Ufrächte. Bi soviel Bildhaftem vor sine Auge hätti er grad gnueg Stoff für a ganz glungeni Novälle gha, die mir natürlich alli känned. Wänn er dänn auch no Euere hütigi Sprächer im innerschte hätti chönne beobachte – im Beobachte vo Mänsche, Landschafte und Stimmige isch er ja en wahre Meischter gsi – dänn wär ihm au scho die Episode im Fäschtzält am eidgenössische Schützefäscht in Aarau mit sim Held Daniel Frymann in Sinn cho. Dem arme Maa i sinere ungmütliche Situation hät er dänn die folgende Wort is Muul gleit: „Punktum ich tus nicht, ich bin ein alter Mann und ich will mich nicht für den Rest meiner Jugend den Makel der Torheit und einen Übernamen aufpfeffern lassen.“

Ähnlichi Gedanke sind mir dur de Chopf gfloge, wo mir Euse Statthalter amene alles anderi als ruhige Morge is Büro aglütet hät. Sini liebeswürdig vortreiti Afrage wäge de Red am Grab vom Gottfried Keller isch nüt anders als en klare Uftrag gsi. Nei säge, das hetti gar nüt gnützt. Mich hät allerdings im nachhinein stutzig gmacht, dass er offebar s‘Manuskript vom Fähnli vo de Siebe Ufrächte – über welli Kanäl au immer – scho hät chöne läse. Deht inne werdet au Ratschläge abgä über wie und uf was me binere gute Red söll achte. „Verzell eifach öppis, was Du persönlich über de Göpf dänksch!“ sind sini ufmunternde Ratschläg gsi. No lang nach dem kurze Gspräch isch mir alles anderi als klar gsi, was i söll dänke, gschwiege dänn säge.

Gofftried Keller‘s Läbe als Staatsmaa, sis Schwanke zwüsched Misserfolg und Glaube a d‘ Zukunft, sini Person als eifache Bürger vo eusere Stadt, aber ganz bsunders sis künschtlerischi Wärk, all das isch so facetterich, so spannend, so ghaltvoll und rich a Gägesätz. All das machts eim nöd eifach, Gedanke über ihn z‘bündle, z‘sortiere und dänn a paar wesentliche Ussage über die ussergwöhnlich starki und schlussändlich so erfolgrichi Persönlikcheit z‘finde und z‘formuliere. I däm Sinn hät mir de hüt Geehrti sälber sini Hilf abote. Es gaht wider um die berühmti Red, wo de Frymann hätti sölle halte, nachdem de Los entscheid uf ihn gfalle isch. „Jeden Augenblick dachte er an die Rede ohne dass sich der mindeste Gedanken gestalten wollte, weil er ihn weit in der Ferne herum suchte anstatt das nächste zu ergreifen und zu tun, als ob er nur bei seinen Freunden wäre“. Wiiter isch no beschriebe, dass das was er mit sine Fründe normalerwis besprächi „nur Gschwätz“ sig. Er hät dänn au grüblet nach „etwas Absonderlichem und hochtrabenden, nach einem politischen Manifest“, allerdings nöd us Eitelkei sondern „aus bitterem Pflichtgefühl“. De erschti Entwurf isch dänn au „eine Anhäufung von Donnerwetter gegen Jesuiten und Aristokraten und dazwischen waren Ausdrücke wie Freiheit, Menschenrechte, Knechtschaft und Verdummung und dergleichen reichlich gespickt“.

Liebi Gescht, liebi Zouftfründe, nüt isch neu unter de Stärne. Wie tönts doch hüt zu Tag wänn Politiker, Wirtschaftsführer, „Möchtegerne Consultants“, Gwerkschaftsbosse und vili anderi sötig abdroscheni Phrase is Muul nämed! Wer zuvil a d‘Freiheit vom einzelne appeliert, gäge d‘Chnächtschaft vom Kapital, neuerdings gäge d‘Globalisierig vo eusere Wält, gäge Brüssel wätteret und dezu no Mänscherächt laufend als Usred für Handlige usserhalb vo Rächt und Ordnig beasprucht, de sött villicht ämale Gottfried Keller läse und dänn i sich ine ga. Dä Gottfried Keller hät‘s nie chönne mit Phrasedrescher! Er sälber hät alles Dütsch und Dütlich bim Name gnännt. Wänn das nüt gnützt hät, isch er sogar handgrieflich gworde. Er isch dänn au bi verschidene politische Aktione oder Üsserige diräkt gege sini „Förderer“ wie z.B. em Alfred Escher ufträte. Die händ ihm das schlussändlich nöd übel gno, will sie ganz eifach vo sine viele Fähigkeite überzügt gsi sind. Drei Biespiel:

-En Gottfried Keller hät sich im längerfrischtige Interesse vom Staat für d‘Reduzierig vo de Chinderarbetszyt igsetzt, später us de gliche Gründ isch er für die vollständig Abschaffig gsi.

-Im Rahme vo de Verfassigsänderig, wo er ja sälber mitgschaffet hät, hät er immer wieder vo zuviel Volksrächt gwarnt. Er hät Bedänke güsseret, dass die absoluti diräkti Demokratie Tür und Angel öffne chönnt für allzuviel Macht für einzelni Lüt oder Gruppe (wie z.B. Alfred Escher). Und die Machtusübig seig dänn erscht no schön demokratisch abgsicheret.

-Er hät dene Politiker misstraut, „welche lieber durch Schaffen neuer Gesetze als durch Handhabung der alten excellieren möchten“. Wie hät sich uf tragischi Art i de 30er Jahre vom letschte Jahrhundert die folgendi Ussage vo ihm bewarheitet: „Demagogen, politische Dilettanten und Wirrköpfe, welche durch Betriebsamkeit und Rethorik die Urteilslosen beherrschen, diesen könnte die eigentliche Macht im Staate zufallen“.

Aber au im ussenpolitischen Bereich sind während de Zyt, wo er no als Staatsschrieber amtiert hät, vili pointierti Bemerkige gfalle – allerdings nume als Teil vo sinere persönliche Korrespondänz – au da wider gäge die allgemein Meinig vo de Regierig, wo eher franzosefründlich gsi isch.

So hät er nach em 1870er Krieg zwüsche Deutschland und Frankrich amene Fründ gschribe: „Ich möchte Ihnen gerne anlässlich zum Krieg und deutschen Reich gratulieren und über die Franzosenborniertheit fluchen, die sich beim grossen Haufen in unserer alten Schweiz breit machte und noch glimmt, aber das würde zuweit führen“. D‘Antwort isch entsprächend usgfalle und hät i de Feschtstellig gipflet, „ein mürb geschlagenes Frankreich neben sich zu haben, könne der Schweiz nur erwünscht sein“.

Hüt würdet setigi Wort vomene Maa, wo so exponiert und bekannt gsi isch wie er, via Indiskretione wie de Blitz in Tagi, in Blick und is Fernsehe grate. Als Minimum würdi a formelli Entschuldigung gforderet. Wie isch das doch gsi vor wenige Jahre, wo sich en wälsche Bundesrat gägenüber Drohige und Forderige a d‘Schwyz gwehrt hät und d‘Sachlag bim Name gnännt hät. Chöntis öppe sie, dass en Monsieur Delamuraz dä Gottfried Keller gläse, g‘schtudiert und sich z‘Herze gno hät?

Mini Usführige, liebi Gescht und Zouftfründ, händ im Zeiche vom Gottfried Keller als Mänsch wie Sie und Ich aber au als Politiker gstande. Sini eigentlichi Grössi isch sis zitlose litterarischi Vermächtnis, das ich nume ha chöne streife. Über dä Teil händ anderi, viel besser prädeschtinierti Zoifter, scho viel gredet und au i de Zuekunft wird das de Fall sie. Ich möchte mit drü Zitat – die letschte zwei devo vom Geehrte sälber – schlüsse, i de Meinig, dass die sini Persönlichkeit uf wunderbare Art zämefassed:

Eine vo sine wenige würkliche Fründe, de Adolf Frey, en spötere Litteraturprofessor a de Uni vo Züri hät gschriebe:„Wie in seinen Werken zeichnete er sich auch als Mensch durch eine reiche Eigenheit aus, die selbst da, wo sie für den ersten Blick des Fernstehenden einen wunderlichen Anstrich gewinnen konnte, doch auf die Ganzheit und Geschlossenheit einer ursprünglichen und ungewöhnlichen Natur zurückleitet“.

Er sälber hät gseit: „Ich habe mich durch eigene Erfahrung daran gewöhnt, alle Misere dieses Lebens als unbedeutend und vorübergehend zu betrachten und fest an die Zukunft zu glauben.“

Und uf de Grabplatte isch igmeisslet, was er sinere Muetter und Schwöschter scho als 33-jährige gschribe hät (und mit dene zwei Fraue hät er‘s ja nöd immer eifach gha): „Und wenn ich einst mir einige Ehre erwerbe, so habt ihr den grössten Anteil daran durch Euere stille Geduld“.

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