Sechseläuten 2009
Gottfried Keller und seine „Sehnsucht“ Maler zu werden
Der uns Hottinger Zünftern anlässlich seines 80. Geburtstags von Balz Koenig geschenkte Band der „gesammelten Reden am Grabe von Gottfried Keller“ gab Gelegenheit, sich mit dem bereits Gesagten zu beschäftigen und nach Unausgedrucktem zu suchen! Dabei fällt auf, dass uns Gottfried Keller fast ausschliesslich als arrivierter Zürcher Dichter und Staatsmann vorgestellt wurde. Welches Glück für mich – denn als Architekt und „Augenmensch“ kann ich in meinem Argumentarium weder zu Themen der Dichtung noch der Staatsbürgerlichkeit unseres verehrten Gottfried Keller meinen Vorrednern auch nur annähernd das Wasser reichen!
Vielmehr, liebe Hottinger Zünfter und Gäste, streife ich heute zusammen mit Ihnen die jungen Tage Gottfried Kellers als bildender Künstler und damit den steinigen ja aussichtslosen Einstieg eines jungen Menschen ins Berufsleben – ein Leben welches, wie wir wissen, sich nie gänzlich von der schmerzlichen Erfahrung des Scheiterns als Landschaftsmaler befreien konnte!
Die in Ihren Händen liegende Reproduktion eines Oelgemäldes von 1842 mit dem Titel „Aussicht vom Susenberg ins Limmattal“ soll Ihnen als optische Stütze für die nachfolgenden Gedanken dienen….
Die Epoche des bildnerischen Schaffens von Gottfried Keller erstreckte sich vom Sommer 1834 bis zum Sommer 1843 und dauerte damit genau 9 Jahre. Der Auslöser war der uns bekannte Schulverweis von der Kantonsschule mit 15 Jahren, das abrupte Ende der Schaffensperiode seine eigene erstaunte „Entdeckung“ dass er „reimen könne“. Wir sollten uns also vergegenwärtigen, dass diese für das Lebenswerk Gottfried Kellers so wichtige Lebensperiode von seinem 15. bis 24. Lebensjahr dauerte – ein Lebensalter in dem ein Mensch normalerweise zu jung ist um die Tragweiten seines Handelns vollumfänglich zu erkennen – im frühen 19. Jahrhundert jedoch auch eine Zeitspanne die zur Persönlichkeitsbildung und Fundamenterstellung eines späteren eigenverantwortlichen Lebens grösste Bedeutung hat!
Sein dichterisches Gegenstück zu dieser Schaffensperiode ist der im wesentlichen autobiographische Entwicklungs- und Künstlerroman „der Grüne Heinrich“. Heinrich verkörpert darin nichts anderes als den gescheiterten Landschaftsmaler Gottfried Keller.
Gottfried Keller kannte bereits in jungen Lebensjahren das Bedürfnis Landschaftsmaler zu werden! Mit dem Schulverweis und folgender Depression und Gefühlen des Versagens wurde dieser Wunsch regelrecht zur Sehnsucht. In entsprechender Beharrlichkeit – ja geradezu Sturheit – verfolgte er fortan 9 Jahre Lang diesen Weg! Die Kunst ausschliesslich sollte sein Lebenselixier sein – allerdings – und damit legte er bereits zu Beginn die Grundsteine des Scheiterns – nur das eigene Gestalten und letztlich das reine Abbilden seiner Sehnsüchte und Träume ohne eigentliche künstlerische Reflexion seiner Umwelt!
1834 tritt Gottfried Keller in die Werkstatt des künstlerisch kaum qualifizierten Kunstmalers Peter Steiger – im Grünen Heinrich „Meister Habersaat“. Dort erlernt er das Handwerk des Kolorierens von lithographierten Schweizer Ansichten. Genau das jedoch entsprach Gottfried Keller nicht! Zum einen fehlten ihm Geduld und Fleiss in dieser Tätigkeit sein Auge für die Details der Natur zu schärfen, zum andern fühlte er sich zu „besserem berufen“ und erkannte die Notwendigkeit einer seriösen Grundausbildung noch nicht! Autobiographisch äusserte sich Gottfried Keller wie folgt: „ehe ich einen vernünftigen Strich zeichnen konnte, begann ich, meinem angeborenen Produktionstrieb folgend, allerlei Landschaften zu komponieren und derlei dummes Zeug zu treiben – man liess mich aus Mangel an Autorität gewähren, und ehe ich mich besann, war ich zwanzig Jahre alt geworden, ohne eigentlich etwas Rechtes zu können …. Viel später – in seinem Münchner Aufenthalt – wird Gottfried Keller am Beispiel des höchst erfolgreichen Schweizer Kunstmalers Johann Gottfried Steffan erkennen müssen, dass die Grundlage Steffans Erfolg – und damit seines Misserfolgs als Kunstmaler – die uneingeschränkte Fähigkeit des Kopierens, Kolorierens und damit Beobachtens war!
1837 trifft Gottfried Keller mit dem bereits anerkannten und weitgereisten Kunstmaler Rudolf Meyer zusammen. Dieses Zusammentreffen mit dem identischen „Römer“ des Grünen Heinrich wird dort in beinahe an die Szene „der Wolfsschlucht“ des Freischützes anknüpfender Art romantisierend von Keller beschrieben. Es folgen zum ersten und letzten mal in seiner Ausbildung zum Künstler intensive und strenge Monate der Zusammenarbeit mit Rudolf Meyer. Es gelingt Rudolf Meyer die lebhafte Fantasie von Gottfried Keller mindestens teilweise zu Gunsten strengen Studiums der Natur einzudämmen! Leider jedoch findet diese glückliche Zusammenarbeit nach wenigen Monaten bereits ein Ende infolge beginnender Geisteskrankheit und finanzieller Nöte Meyers. Wieder steht Gottfried Keller alleine da. Gottfried Keller autobiographisch anlässlich einer Malstudie in freier Natur „bald schwankte ein aus den Wurzeln sprossendes Zweiglein im Lichte, ein Reflex liess auf der dunkelsten Schattenseite eine neue mit Flechten bezogene Linie entdecken, bis alles wieder verschwand und neuen Erscheinungen Raum gab, während der Baum in seiner Grösse immer gleich ruhig da stand und in seinem Innern ein geisterhaftes Flüstern vernehmen liess. Aber hastig und blindlings zeichnete ich weiter, mich selbst betrügend, baute Lage auf Lage, mich ängstlich nur an die Partie haltend, welche ich gerade zeichnete, und gänzlich unfähig, sie in ein Verhältnis zum Ganzen zu bringen, abgesehen von der Formlosigkeit der einzelnen Striche“…..und weiter „ denn was mir nicht klar war oder zu schwierig erschien , das warf ich, mich selbst betrügend, durcheinander und verhüllte es mit meiner unseligen Pinselgewandtheit, da ich, anstatt bescheiden mit dem Stifte anzufangen, sogleich mit den angewöhnten Tuschschalen, Wasserglas und Pinsel hinausging“ usw.
In Zürich gab es für Gottfried Keller keine Möglichkeit der Weiterbildung. 1840 reist Keller mit seinem bescheidenen väterlichen Erbe nach München. Zu diesem Zeitpunkt war die Münchner Malschule neben derjenigen von Wien und Genf das Zentrum der romantischen Landschaftsmalerei sowie der allegorisch romantischen Vedutenmalerei. Zahlreiche arrivierte Künstler wie der erwähne Steffan, aber auch Rudolf Koller, Arnold Böcklin und Otto Fröhlicher um nur einige Schweizer Vertreter zu nennen gaben sich in München ein Stelldichein! Leider jedoch, oder eben dem Naturell des sehr jungen und verträumten Kellers entsprechender, lagen diesem ein langer Arbeitsalltag in den Malstuben strenger Meister weniger als die Unbenommenheit und Selbstzufriedenheit im Kreise zahlreicher Malerfreunde und der Hang zu ausgiebigen bachialischen Kneipenabenden! 1842 kehrt Keller mittellos, desillusioniert und beschämt nach Zürich zurück – und steht bereits kurz vor dem Ende seiner Laufbahn als Kunstmaler.
In Heidelberg beginnt nun mit der ersten Fassung des Grünen Heinrich die lange dauernde Verarbeitung des eigenen Scheiterns als Maler! Keller selber nannte seine Absicht „einen kleinen traurigen Roman zu schreiben über den tragischen Abbruch einer jungen Künstlerlaufbahn, an welcher Mutter und Sohn zu Grunde gingen“.
Der bevorzugte Malgegenstand Kellers war die Landschaft – insbesondere Bäume vor dem leuchtenden Abendhimmel. Natur betrachtet Gottfried Keller als vollendete Schöpfung Gottes – deren Schönheit es durch die Kunst zu loben gelte! Gedanken die der tiefen Religiosität und Herkunft Kellers und seiner Familie entspringen und letztlich Ehrfurcht vor der göttlichen Natur erzeugte. Dieses Gefühl für das wahre Schöne entwickelt Keller in der Malerei – ja er vermochte das poetische zu erkennen jedoch nicht es künstlerisch lebendig werden zu lassen.
Im Grünen Heinrich beschreibt Keller das Gastspiel einer Theatergruppe – und erfährt dabei zum ersten Mal, dass der Künstler kein blosser Zauberer ist sondern sein Handwerk verstehen muss. Tatsächlich jedoch verdrängt in der künstlerischen Arbeit Kellers immer wieder die Phantasie die Beobachtung. Dabei verliert er sich in weichen Formen wechselnder Wolkenbilder in denen es ihm um das rein „atmosphärische“ geht. Gottfried Keller findet keinen Weg aus seiner romantischen Welt in ein mitmenschliches Leben – weshalb er Heinrich in seiner ersten Fassung daran sterben lässt.
Gottfried Keller autobiographisch: „denn nach dem immerwährenden Misslingen meines Zusammentreffens mit der übrigen Welt hatte eine ungebührliche Selbstbeschauung und Eigenliebe angefangen, mich zu beschleichen; ich fühlte ein weichliches Mitleid mit mir selbst und liebte es, meine Person symbolisch in Szene zu setzen. Diese Figur in einem grünen romantisch geschnittenen Kleide, eine Reisetasche auf dem Rücken starrte in Abendröten und Regenbogen oder wandelte auch wohl in glückseigen Gärten voller Blumen und bunter Vögel“
wem – liebe Hottinger – kommen da nicht gleich die „Leiden des jungen Werthers“ von Göthe in den Sinn???
Liebe Hottinger Zünfter – es gibt die folgende autobiographische Aussage Gottfried Kellers über die Bedeutung von Kunst, die ich Ihnen zur Würdigung der künstlerischen Arbeit Kellers nicht vorenthalten kann:
„denn wie es mir scheint, geht alles richtige Bestreben auf Vereinfachung, Zurückführung und Vereinigung des scheinbar Getrennten und Verschiedenen auf einen Lebensgrund, und in diesem Bestreben, das Notwendige und Einfache mit Kraft und Fülle und in seinem Ganzen Wesen darzustellen, ist Kunst; darum unterscheiden sich die Künstler nur dadurch von den andern Menschen, dass sie das Wesentliche gleich sehen und es mit Fülle darzustellen wissen, während die andern darüber staunen, und darum sind auch alle die keine Meister, zu deren Verständnis es einer besonderen Geschmacksrichtung oder einer künstlerischen Schule bedarf“….
Gottfried Keller war seiner Zeit in seinem Denken weit voraus! Sein unverkennbarer Hang zu verherrlichender Romantik in seiner Malerei fiel in Kunstkreisen durchwegs durch – ja führte sogar zu Gespött! Doch erkennen wir in vorgehendem Zitat nicht bereits die theoretischen Grundsteine der sich mit der Malschule von Barbizon in Frankreich abzeichnenden Wende von der Vedutenmalerei des 19. Jahrhunderts zum Impressionismus und „Paysage intime“ eines Corot, Trouillebert und Rousseau im jungen 20. Jahrhundert?
Gottfried Keller – wie sagtest du doch
Die Zeit geht nicht, sie stehet still
Wir ziehen durch sie hin
Sie ist eine Karawanserei
Wir sind die Pilger darin
Ich wünsche Euse Gescht und eus Hottinger Zünfter es schöns Sächsilüüte