Rede am Grab 2011 (Dr. Philipp Habegger)

Sechseläuten 2011

Die Städte werden reg‘ und munter,
„Es geht!“ erschallt’s von Haus zu Haus;
Schon steigt der Ruhm in sie hinunter
Und wählt sich seine Kinder aus.
Die Morgensonne ruft: „Erwache,
O Volk, und eile auf den Markt!
Bring auf das Forum deine Sache!
Im Freien nur ein Volk erstarkt!

Trag all dein Lieben und dein Hassen
Und Lust und Leid im Sturmesschritt,
Dein schlagend Herz frei durch die Gassen,
Ja bring den ganzen Menschen mit!
Lass strömen all dein Sein und Denken
Und kehr‘ dein Innerstes zu Tag!
Die Kindheit braucht dich nicht zu kränken,
Wenn du ein Kind von gutem Schlag!“

Die zwei Strophä us em Gottfried Keller sim Gedicht „Revolution“ han ich usgsucht Hochgeachtete Herr Zouftmeischter, wohlwiisi Herre Alt-Zouftmeischter, sehr geehrti Herre Ehregäscht und Gäscht, liebe Mitzöifter und Zouftgselle

Die zwei Strophä us em Gedicht „Revolution“ han ich uusgsucht us aktuellem Aalass. Wenig hundert Kilometer vo öis entfärnt, nur es paar wenig Flugstunde äwägg, riskiieret Lüüt für d’Freiheit Ihres Läbä. Sie begehret uf gäge ihre Regierigä und Regimes. Nöd us religiösem Fanatismus und au nöd us reiner Verzwiiflig über Aarmut und wirtschaftlichi Zuständ. Sie kämpfet um ihri Freiheit. Und ich muess sägä, ab und zu beschämts mich fascht es bitz, wänn ich gseh, was in dene Länder d’Menschä für Opfer uf sich nämed, für öppis wo mir als Sälbschtverständlichkeit alueget.

Als en Bund vo Bürger, wo sich dä Leitschpruch „Früündschaft i de Freiheit“ uf d’Fahne gschriibe hät, stönd öis ä paar wenige Überlegige guät aa, inwiefärn nöd au mir Tag für Tag uufgrufe sind, für öisi Freyheit z’kämpfe.

Dass d’Menschä i dä arabische Wält d’Freiheit bsunders schätzet, well sie ihres Fehlä täglich als bedrängend, iiängänd und entwürdigend erfahret lüüchtet ii. D’Sehnsucht nach Freiheit laat Freiheit hell erstrahlä, verleiht ihrä gar än Aura. Die Menschä wo erscht nach dä Freiheit verlanget, machät sich aber wahrschiinlich no chuum klar, was sie eim abforderet, wänn mer sie mal erlangt hät. Das isch wohl dä Punkt, wo mir i öisem Land stönd: mir händ d’Freyheit erlangt. Ich mein aber, au mir müend dött iihaagge, denn ich bin mer nüm so sicher, öb mir öis no bewusst sind, was sie öis abverlangt.

Wohl simmer öis sicher bewusst, dass sich d’Freyheit nur i dem Maass entfalte cha, wie ihre Gränzä nüchtern erchännt und ihre Chance entschlossä ergriffä wärdet. Freyheit bruucht Ordnig, um dä Freyheit willä müend Schrankä gsetzt werdä, well die eigeni Entfaltig dra bundä isch, dass au dä anderi Freyheit überchunt. So wiit alles klar.

Dänket mer aber au dra, dass das ä mühsam z’erringendi Erkänntnis und schwär zu erledigendi Uufgaab im Alltag vo dä Demokratie isch? „Absturz in die Freiheit – Was uns die Demokratie abverlangt“ hät dä Friedrich Schorlemmer, än Mitbegründer vo dä Oppositionsbewegig i dä DDR, scho wenigi Jahr nach dä Wiedervereinigung vo Düütschland äis vo sine Bücher gnännt, weller sich bewusst worde isch, dass die täglich Uusenandersetzig bereits verloore gaht.

Ich han d’Befürchtig, dass au i dä Schwiiz hüützutaag meh und meh viil zwenig durend um die Erkänntnis gruunge und die schwierig Uufgaab aapackt wird. Einersiits isch da dä Drang nach Individualität und gränzälose Selbstverwirklichung unbesehä vom Gegenüber links und rächts. S’übernäh vo Verantwortig – freywillig oder ufgrund von staatlich überträite Verpflichtig – s’übernäh vo Verantwortig zu Gunschte vom Kollektiv tritt in Hindergrund oder gratet politisch under Druck.

Anderersiits läbet mär inere Massegsellschaft, wo zumene rächtä Teil au zunere vo de Massemedie gschtürte Gsellschaft worde isch, wo d’Jagd nach Iischaltquoote die schwierigä Wahrheite und nötige Differenzierige, d’Ernschthaftigkeit und d’Verantwortungsbereitschaft, dä Tüüfgang und dä guäti Gschmack unter sich begrabet. Wo alles möglich isch, wird alles gliichgültig. I dä totale Schpassgsellschaft ghört au jegliches Abschlachte zum Schpass. Leider mittlerwiil au im Aug vo dä Usändersetzig mit dä Freyheit, i dä Politik ….

Ich meine, vielleicht münd mehr wieder meh a di “revolutionäre“ Uursprüng zrugg, um schtändig um die aagesprochene Erkänntnis z’ringe und d’Duurhuusuufgaab Demokratie und Bewahrig vo dä Freyheit z’erledigä.

Trag all dein Lieben und dein Hassen
Und Lust und Leid im Sturmesschritt,
Dein schlagend Herz frei durch die Gassen,
Ja bring den ganzen Menschen mit!
Lass strömen all dein Sein und Denken
Und kehr‘ dein Innerstes zu Tag!

I dem Sinn isch es mir alleweil lieber wänn Jungspünd mit politisch mir völlig widersprächender Gsinning für abstrusi politischi Gedänkäschpiel iistönd – aber mit Härz und Lust ! – als wenn staatstragendi Parteiä allei us wahltaktischem Kalkül und ohne inneri Überzüügig vo öisne Volksrächt zur Erlangig vo medialer Uufmerksamkeit Gebruuch – oder söll i säge Missbruuch – machet.

Liebe Fründ, für öisä täglich Kampf um d’Freyheit bruuchts au ä Portion Ungestümheit, Offeheit und Liideschaft. Das sind wahrlich kei Attribut, wo einzig dä einte Siite vom politischä Schpektrum vorbehaltä sind. Damit mir öisi Fründschaft au in Zukunft in Freyheit pfläge chönd, lad ich Eus drum alli i, öise Ueberzügige i die täglichä Usändersetzig für diä Freyheit wo öis wichtig isch, so offe wie hüt, so ungestüm wie hüt, mit soviil Herz wie hüt, mit ächtä Liideschaft wie hüt, und wie hüt mit jugendlichem Übermut und gar kindlichä Freud zführe.

Dänn:

Lass strömen all dein Sein und Denken
Und kehr‘ dein Innerstes zu Tag!
Die Kindheit braucht dich nicht zu kränken,
Wenn du ein Kind von gutem Schlag!“

Hochgeachtete Herr Zouftmeischter, liebi Fründ, öise hüütig Ehregascht, dä Prof. Dr. René Rhinow, hät sich als eine vo dä heruusragende Staats- und Verfassungsrechtler sitt em Bestah vom Bundesstaat um d’Bewahrung und di laufend Usändersetzung mit dä Freyheit gröschti Verdienscht erworbe.

Über das uus, gebührt ihm aber au gröschte Dank und Anerkennig für all sini Arbet imene Beriich, wo d’Schwiiz traditionellerwiis au scho immer ä wichtigi Rolle gspielt hät, nämlich bim leischte vo guetä Dienscht und im Rahme vo humanitärer Hilfeleischtig. Uus dem Grund, sehr geehrtä Herr Prof. Rhinow, liebi Fründ, bliebet mer hüt uusnahmswiis ä chli länger uf em Sihlfeld. Als Dank und Anerkennung für die grossartig und uufopferigsvoll Arbeit vom Schwiizerische Rote Chrüüz und siim Präsident, spricht am Grab vomene wiitere grosse Schwiizer, äm Henri Dunant, dä Mitzöifter Reto Koenig. Ich bittä Eu alli, am Banner und am Zugführer zfolge.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis