Rede am Grab 2011 (Reto König)

Sechseläuten 2011

Rede am Grab von Henry Dunant aus Anlass dessen 100. Todestages.

Hochgeachtete Herr Zouftmeischter
Verehrti Herre Altzouftmeischter
Gschetzti Ehregescht und Gescht
Liebi Zouftfründ

Zivilisation bedeutet, sich gegenseitig zu helfen von Mensch zu Mensch, von Nation zu Nation. Das sind d’Wort von ere bedüütende schwiizer Persönlichkeit, em Henry Dunant, wo a däm Ort uf em Friedhof Sihlfeld vor guet 100 Jahr ohni grosses Uufsee und in aller Bescheideheit sini letschti Rue gfunde hät. I dere eifache und schinbar sälbverständliche Uusag vom Henry Dunant tauched zwei zentrali Begriff uf, weli sis Läbeswerk und sis Wältbild prägt händ: De Begriff vo dä Zivilisation einersiits und vo dä Hilfeleischtig anderersiits.

Ich möchti im Folgende das Wältbild ahand vo sinere Läbeserfahrig ufskizziere – e üsserscht dramatischi und tragischi Läbesgschicht, wo vo grosse Leischtige für eusi Gsellschaft und vo persönlichem Schiitere handlet:

Dä Henry Dunant isch 1828 in e wohlhabendi, sehr frommi und calvinistisch orientierti Familie us Genf gebore worde. Beidi Eltere sind gsellschaftlich hoch aagseh gsi und händ sich sozial und politisch engagiert. D’Erfahrige i däm Umfäld händ de jungi Henry Dunant prägt und händ zäme mit sinere Fähigkeit, anderi für sini Idee z’begeischtere und z’überzüüge, d’Basis gleit für sis Läbeswerk.

Mit 26 isch er als Gschäftsmaa in Algerie tätig gsii, damals e französischi Kolonie. Er hät im Zämehang mit Landkonzessione für sini dötige Mühleprojekt grossi Problem gha mit dä Behörde und i sinere Verzwiiflig hät er ghofft, das Gschäft dur en diräkte Kontakt mit em Kaiser Napoleon III. persönlich z’löse. Dass dä Kaiser grad ime Chrieg gäge s’östrichischi Habsburg in Italie engagiert gsi isch, hät dä Henry Dunant nöd devo abghalte, ihn vor Ort welle z’träffe. So isch er 1859 südlich vom Gardasee unbeabsichtigt mit eine vo dä bluetigschte Chriegshandligä vom 19. Jahrhundert konfrontiert worde, dä Schlacht vo Solferino: Us dä Gschäftsreis isch unverhofft en Gang dur d’Höll vo eusere Zivilisation worde. Es isch das Schlüsselerläbnis, wo siis ganze Läbe veränderet hät. Dä Aablick vo dene rund 40’000 verwundete, im sterbe liegende oder tote Soldate, um die sich niemert kümmeret hät, hät ihn erschütteret und dezu veraalasst, spontan vor Ort e Hilfeorganisation ufz’stelle zäme mit dä Unterstützig vo dä döt asässige Zivilbevölkerig, alles Freiwilligi, meischt Fraue und Chind.

Es Jahr schpöter hät dä Henry Dunant es Buech gschriebe mit em Titel „Un souvenier de Solferino“. I dem Buech, won er uf eigeni Chöschte publiziert und in ganz Europa a alli wichtige Persönlichkeite us Politik und Militär verteilt hät, wird näbet dä Chriegserläbnis vo Solferino d’Notwändigkeit von ere politisch unabhängige und neutrale Hilfsorganisation vorgschlage, wo i allne Länder sich im Chriegsfall um die verwundete Soldate kümmere söll.

So isch 1863 in Genf es Komitee gründet worde, wo spöter de Name Internationals Komitee vom Rote Chrüz oder IKRK agnoh hät. Es Jahr spöter isch uf Iiladig vom Bundesrat di erschti Genfer Konvention vo 12 Staate unterzeichnet worde und bereits 1866 isch au s’SRK, s’Schwiizerische Rote Chrüz, gründet worde. Es isch die Organisation, wo Euse Ehregascht Prof. Dr. René Rinow sit 2001 präsidiert.

S’Läbe vom Henry Dunant hät i dere Ziit vom gsellschaftliche Erfolg und dä grosse Anerkännig e tragischi Richtig gno: Sini visionäre Idee und sis grosse Engagement in ganz Europa händ dezue gführt, dass de Henry Dunant sini eigene Gschäft in Algerie vernachlässigt hät. Das hät zu grosse Verschuldige und schlussändlich zum Bankrott gführt –i de damalige Ziit wesentlich me als es Kavaliersdelikt. Dä Henry Dunant isch vo sim Umfäld gmiede worde und er hät vo sinere Funktion als Sekretär vom IKRK zruggträtte müese. Me cha sich die mänschlichi Tragödie chum vorstelle: Churz nach dä Erschaffig vo dere Organisation, wo weltwiit Grossartigs leischtet, die Trännig vom „eigene Chind“, vom eigene Läbeswerk!

Uf dä Flucht vo sine Gläubiger hät dä Henry Dunant es unstets Läbe dur ganz Europa gführt und sich gsellschaftlich komplett zruggzoge: Sin Läbesaabig im appezällische Heiden isch prägt gsi dur Armuet und Misstraue gegenüber dä Mänsche. Er isch in Vergässeheit grate und erscht im hoche Alter vo 73 als allererschte Nobelpristräger 1901 für sis Läbeswerk g’ehrt worde: E Rehabilitierig und Linderig vo all dem Schmerz, wo sin Läbesabig prägt hät.

Zivilisation bedeutet, sich gegenseitig zu helfen von Mensch zu Mensch, von Nation zu Nation.

Das Wort vom Henry Dunant chunt für mich e zusätzlichi Bedüütig über, wenn ich s’ in Zämmehang stelle mit sim Läbeswerk: Dä Begriff Zivilisation stammt vom Adjektiv zivil ab und wiiter vom latinische civis, also em „Bürger“. Zivilisation bezeichnet die Läbesbedingige, weli dur dä Fortschritt vo Technik und Wüsseschafft sowie vo Politik und Wirtschaft erschaffe worde sind. Und für Eus Hottinger – so tänk ich – wird dä Begriff Zivilisation ergänzt dur die Wert vom Bürgertum, wie sie dä Gottfried Keller i sim Werk feschtghalte hät. Doch chönd mir mit Blick ufs Schlachtfäld vo Solferino no vo Zivilisation rede?

Dä Henri Dunant hät das nöd chöne. D’Hilf am Mitmänsch hät drum sis Läbe veränderet, wenn au uf tragischi Art. Ich möchti abschlüssend uf d’Bedüütig vo dä Hilfeleischtig und ganz bsunders uf mini Wertschätzig vo dä Freiwillige-Arbet i eusere Zivilisation hiwiise: Rund 46’000 Freiwilligi schaffed hüt für’s Schwiizerischi Roti Chrüz, wältwiit sind’s rund 13 Millione, das entspricht eme monetäre Wert vo meh als 5,5 Milliarde Franke pro Jahr. Ohni d’Feiwillige Arbet chönti s’gröschte humantäri Netzwerk vo dä Wält wie au vieles andere gar nöd exischtiere. Liebi Zouftfründ, dänked mer doch eifach drüber nah, öb mir i euserem private oder au bruefliche Umfäld eusi Möglichkeite vo dä Hilfeleischtig tatsächlich uusgschöpft händ: Nutzed mer Glägeheite, wenn sie in eusem Lääbe uftauched.

Ich tänke, dass eusi Zouft de beschti Bode bildet, us dem die Gedanke wiiterwachse chönd. Ich danke für d’Uufmerksamkeit.

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