Rede am Grab 2015 (Hans-Peter Hirs)

Sechseläuten 2015

Hochgeachteter Herr Zunftmeister, geehrter Herren Altzunftmeister, Ehrengäste und Gäste, liebe Zunftfreunde und Gesellen

Dass ich nicht nur Gottfried Keller darzustellen sondern auch noch an seinem Grab, praktisch in seiner Gestalt mit einem angeklebten Bart eine Rede halten darf, ist schon bisschen speziell. Aber es ist bestimmt nicht meine eigene Grabrede.

Um Gottfried Keller und sein Werk zu ehren, sucht man die Gültigkeit seiner Aussagen auch für die Gegenwart. Viele Vorredner bei diesem Besuch am Grab Gottfried Kellers machten dies anhand seiner bekannten Werke: Vom Grünen Heinrich , den Leuten von Seldwyla , den Zürcher Novellen, mit dem von uns vereehrten Fähnlein der sieben Aufrechten, bis zum leider unvollendeten Werk Martin Salander.

Ich hatte es einfacher. Ich besuchte die von unserer Zunft mitinitierte und -getragene Gottfried Keller Ausstellung, schaute mich um und liess mich inspirieren. An einer Wand fand ich folgende Aufschrift:

Steigen wir hinab in die Grundtiefen unseres persönlichen Gewissens und schaffen wir uns dort die wahre Heimat, so werden wir ohne Neid und ohne Furcht auf fremde Größe und in die Zukunft blicken können.

Diese Aufforderung aus einem Bettagsmandat hat mich irgendwie angesprochen und neugierig gemacht. Diese von Keller verfassten Bettagsmandate waren neu für mich. Da ich annehme, dass es den meisten von Ihnen auch so geht, möchte ich nachstehend gerne auf diese weniger bekannte Seite von Kellers Werk eingehen und gleichzeitig den geschichtlichen Kontext aufzeigen.

Diese Bettagsmandate wurden von der Regierung für den Bettag im Herbst herausgegeben, um auf den Kanzeln verlesen und auf Plakaten am Bettag angeschlagen zu werden. Wie kam es nun aber dazu, dass Keller damit beauftragt wurde? Keller hat es später so beschrieben: Immer wenn sich bei den Regierenden niemand fand welcher Lust hatte seinen Stil für ein solches Mandat zu versuchen wurde der Staatsschreiber damit beauftragt.  Heute wäre es sehr wahrscheinlich ein Medienbeautragter oder ein externer Redeschreiber.

Das Gottfried Keller damit beauftragt wurde, hatte ebenso erstaunt wie seine Wahl als Staatschreiber ein Jahr vorher. Er war nämlich nicht als regelmässiger Kirchengänger bekannt. Er verbat sich deshalb ausdrücklich einen gesalbten Kanzelton. Keller hat während seiner Amtszeit zwischen 1862 und 1872 insgesamt 5 solcher Mandate verfasst.

Die Bettagsmandate hatten einem religiös definierten Schema zu folgen:  Lob, Dank, Busse, Gebet. Ich möchte aber auf diesen Teil der Mandate nicht eingehen. Der Pfarrer in unserer Zunft ist dazu viel berufener und kompetenter.

Die Mandate wurden von einem Regierungsrat zusammen mit Staatsschreiber Keller unterzeichnet. Stellt sich also die Frage was Keller zugeordnet werden kann, wieviel die Regierung vorgegeben, respektive korrigiert hat. Trotz dieses engen vorgegebenen Korsetts, finden sich in diesen Bettagsmandaten viele Gedanken, Aussagen und Ermahnungen welche untrüglich die Hand des Dichters tragen und auch in unserer weniger religiös geprägten Gegenwart immer noch gültig sind.

Der Entwurf für das erste Mandat 1862, ein Jahr nach seiner Amtseinführung, wurde allerdings abgelehnt, da darin Aussagen waren, welche entweder dem Klerus oder der Regierung nicht in den Kram passten. Das Lob an die Bürger, dass sie mit der Zustimmung zu einem neuen Gesetz den Juden die gleichen Rechte gaben und damit Jahrhunderte altes Unrecht abgeschafft wurde, ist dann im offiziellen nicht von Keller verfassten Mandat nicht mehr direkt angesprochen worden. Oder, dass man auch ausserhalb der Kirche in sich gehen könne, wurde ganz weggelassen.

Kellers Amtszeit als Staatsschreiber war geprägt durch Entwicklugen, welche die Grundlage für noch nie gesehene  gesellschaftliche politische Veränderungen waren. Ich denke da vor allem an die aufkommende Industrialisierung und den Ausbau der Verkehrswege insbesondere der Ausbau der Eisenbahnen.

Zur Zeit des ersten Mandats 1862 tobte in Amerika der Sezessionskrieg . Die Schwester über dem Weltmeer, wie sie Keller bezeichnet, war ja bei ihrer Gründung auch ein wenig Vorbild für den Schweizerischen Bundesstaat. Keller  bewundert  die Gründerväter als wahre Helden und Weisen, welche die grösste und freieste Republik vor über 80 Jahren gegründet hätten, und jetzt würde als in Geiz verwandelte Bitte ums tägliche Brot. Ein Streit um Gewinn und irdischen Vortei, unter dem Vorwand der ökonomischen Notwendigkeit, die christliche Weltanschauung in Strömen von Blut ersticken.

Kellers Analyse hat eine Entwicklung vorausgesehen, welche heute die Vereinigten Staaten auch bei uns nicht mehr uneingeschränkt bewundern lässt.

Er mahnt seine Mitbürger das Vaterland nicht im Streit um Brot, geschweige denn im Streit um Überfluss untergehen zu lassen.

Heute droht in unserer Umgebung nicht unmittelbar ein Krieg. Aber innerhalb der Gesellschaften oder zwischen den Nationen können Neid, Übermässigkeit und Geldgier zu gefährlichen Spannungen füheren.

Die Eidgenossenschaft hat sich damals auch in diesen schwierigen Zeiten gut gehalten. Keller mahnt aber, dass wir nicht mit eitlem Selbstruhm vor den Herrn aller Völker treten sollen, den der verstehe das Wesen vom Scheine zu unterscheiden. Das kleine Modell des Bundesstaates könne vom grossen Baumeister der Geschichte aufgestellt,  auch von ihm wieder zerschlagen werden, wenn es nicht seinem grossen Plan entspricht, wenn wir nicht mehr vorwärts streben, unerprobte Entschlüsse für Taten halten und jede mühelose Kraftäusserung in Worten mit einem Freudenfest belohnen wollten.

Auch wir sollten seine Aufforderung dem eitlen Selbstruhm zu entsagen beherzigen, vor allem auch im Zusammenhang mit den schweren Krisen, der uns nahestehenden europäischen Partner.

An einem andern Ort mahnt er, dass nicht jedes kleine Bedürfnis Veranlassung  geben soll Gesetze entstehen und verschwinden zu lassen oder sogar an der schwer erkämpften Bundesverfassung zu rütteln. Bei uns kommt dank der medialen Durchdringung des Politbetriebes die Profilierungssucht von Parteien und Politikern dazu. Wobei dies auch zum Teil die Schuld von uns Stimmbürgern ist.

Es liegt auf der Hand, dass dieser nicht akzeptierte Entwurf allgemein als das am unverfälschteste  Keller Mandat betrachtet wird.

Im folgenden Jahr 1863 war das von Keller entworfene Mandat klassischer im Sinne der Obrigkeit und wurde vom Regierungsrat akzeptiert. Noch immer tobt der Bürgerkrieg in Amerika und in Europa brennen auch die Kriegesflammen. Keller bemerkt wie schwer es ist menschliche  und christliche Gesinnung auch im Streite und die Unabhängikeit zu bewahren.

Damals schon sind von allen Seiten Entwicklungen bei uns eingedrungen, die gemäss Keller nicht nur Segen und Leben sondern auch den Keim zu Eifer und Zwist gestreut hätten.

Auch 4 Jahre später 1867 ist die Kriegsgefahr nicht gebannt. Ein Auf und Ab der Hoffnung und der Besorgnis. Er beschreibt es als ein Kampf zwischen Freiheit, Frieden und dem Machtbestreben der Herrschenden. Die Mächtigen zu jener Zeit waren in Europa mehrheitlich Monarchen und Fürsten.

In seinem zweitletzten Mandat 1871 kommt es dann doch zum Deutsch Französischen Krieg . Auslöser die Thronfolge in Spanien. Das war aber nur ein Vorwand. Keller beschreibt das Resultat:  Dass im Norden wieder eine glänzende Kaiserkrone  errichtet wurde und im Westen eine darnieder geworfene Nation um ihren Wiederaufbau ringt.

Er mahnt wir sollen den Willen Gottes erforschen aus den Geschicken der Grossen und Mächtigen, wenn sie die Wege ihrer Willkür wandeln und der eigenen Willkür entsagen. Wir sollen Ruhe und den Frieden suchen und den Schall leerer Worte meiden und mit Arbeit und Pflichterfüllung  den Fortschritt bewahren und äuffnen, welcher keine Feinde sondern Freunde erweckt und unsere Unabhängigkeit erhält, solange wir ihrer wert sind.

Aus diesem Mandat kommt auch der Eingangs erwähnte Spruch an der Wand in der Gottfried Keller Austellung. Zum besseren Verständnis zitiere ich auch den voranstehenden Paragraphen.

Leicht erkennen wir an unserem Nächsten, ob er Anteil an der gemeinsamen Arbeit des Fortschritts nimmt. Schwieriger ist es dies in uns selbst zu erkennen.

Trennen wir deshalb nicht den Staatsbürger, der sich oft an erfüllter Form genügen lässt, vom vollen und ganzen Menschen , welcher mitten in der Gemeinschaft, einsam und verantwortlich der göttlichen Weltordnung gegenübersteht.

Dann folgt die Eingangs zitierte Aufforderung:

Steigen wir hinab in die Grundtiefen unseres persönlichen Gewissens und schaffen wir uns dort die wahre Heimat, so werden wir ohne Neid und ohne Furcht auf fremde Größe und in die Zukunft blicken können.

Heimat hatte für Keller eine grosse Bedeutung. Er liebte seine Stadt, die Leute, das gesellschaftliche Umfeld. Er hat die Heimat nicht nur beschrieben, er hat sie ja in seinen jungen Jahren auch gemalt. Heimat und Heimatrecht waren zu jener Zeit noch viel wichtiger als heute. So war es auch in jener Zeit nicht einfach eine Heimat zu finden.

Wenn man sich eine innere Heimat erschaft, dann findet man Sicherheit und Identität in seinem Umfeld. Heute ist dies sicher unsere Zunft, mit ihrer viel beschworenen generationsüberschreitenden Wertegemeinschaft und obwohl nicht mehr so viele direkt hier wohnen, die dem grossen Feste entgegenfiebernde bunt beflaggte Stadt Zürich.

Ich wünsche allen ein schönes Sechseläuten in unserer schönen Heimat.

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