Rede am Grab 2023 (Adrian Nösberger)

Sechseläuten 2023

Hochehrenwerte Herr Zunftmeister
Hochgeachtete Herren Alt-Zunftmeister
Liebe Hottinger Mitzöifter und Gesellen
Werte Ehrengäste und Gäste
Liebe Freunde in der Freiheit!

Gottfried Keller erlebte im 19. Jahrhundert eine Welt im Umbruch – wie wir vielleicht jetzt auch wieder. Als Gottfried Keller geboren wurde war Goethe in grosser Form und als er verstarb, krähte Hitler schon in seiner Wiege.

Gerne möchte ich uns in Erinnerung rufen, in welcher Zeit Gottfried Keller lebte, welche Werte ihn prägten und was heute noch von seinem Denken und Schaffen wichtiger denn je ist.

Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts markiert in der Schweizer Geschichte die teils turbulente Phase des politischen Übergangs von der alten Ordnung des Ancien Regime im 18. Jahrhundert zum modernen Schweizer Bundesstaat, der 1848 gegründet wurde. Ab den 1820er Jahren erstarkte in der Schweiz der politische Liberalismus, der sich für aufklärerische Ideale wie die politische Gleichheit sowie die Presse- und Meinungsfreiheit einsetzte. Eine gewichtige politische Folge dieser liberalen Bewegung war die deutliche Lagerbildung zwischen den auf politische Veränderung drängenden Liberalen/Radikalen und den auf den Status quo eingeschworenen konservativen Kräften. In den 1840er Jahren spitzte sich der politische Gegensatz von konservativen (meist katholischen) und liberalen (meist protestantischen) Kantonen zu und führte die beiden inzwischen in militärischen Schutzbündnissen organisierten Lager 1847 in einen kurzen und zum Glück wenig verlustreichen Bürgerkrieg, den Sonderbundskrieg.

Zuvor gab es aber auch zwei gescheiterte Umsturzversuche. In sog. Freischaren Züge wollten. radikal-liberalen Aufständischen die konservative Regierung des Kantons Luzern stürzen und die Jesuiten vertreiben. Und wer war auch bei den Freischaren Zügen engagiert: ja, unser Gottfried Keller war auch dabei! Beim ersten Freischaren Zug schloss er sich einer abenteuerlich bewaffneten Gruppe an; kam aber nicht weiter als bis Albisrieden wo sie von Behörden zur Umkehr gezwungen wurden. Ein Jahr später war Gottfried Keller wieder bei einem Versuch dabei, diesmal kamen sie bis Maschwanden, immerhin auf halben Weg nach Luzern. Also unser Gottfried Keller war damals mit Herz und Seele dabei und war eigentlich ein militanter Radikaler!

«Heil dem, der ehrlich sagen kann: Auch ich hab mitgestritten!»

Gottfried Keller war ein Vertreter der Bürgerlichen Revolution, der sich für soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz einsetzte. Er war ein Vorkämpfer für die Rechte der Arbeitenden und plädierte für eine gerechtere Bildungspolitik. Gottfried Keller zählt zu den größten Erzählern des bürgerlichen Realismus. Er war gegen den herrschenden Adel und kämpften für Bürger- und Menschenrechte, Demokratie und nationale Unabhängigkeit.

«Keine Regierung vermag Recht & Freiheit zu schützen, wo die Bürger nicht imstande sind, selber vor die Haustür zu treten»

So hat es Gottfried Keller in seiner Novelle «Fähnlein der sieben Aufrechten» geschrieben und so hat er selbst gehandelt.

Das Schweizer Bürgertum der ersten Jahrhunderthälfte als eine durch Reichtum oder Bildung privilegierte (klein-)städtische Oberschicht darstellte, die sich gegen oben von der Aristokratie und gegen unten vom ‚gemeinen Volk‘ abgrenzte, kam es im Laufe der zweiten Jahrhunderthälfte zu einer Verbürgerlichung breiterer Bevölkerungskreise.
Als bürgerlich galt, wer sich durch als typisch schweizerisch empfundene Charaktereigenschaften wie Fleiss, Strebsamkeit, Ehrlichkeit, Einfachheit oder Bescheidenheit auszeichnete und über eine solide wirtschaftliche Grundlage verfügte.

«Alles Große und Edle ist einfacher Art».

«Ruhig, mit nur wenigen Meisterschlägen, schmiede der rechte Mann sein Glück!».

«Wer nichts tut, weiß nicht, wie süß die Ruhe ist».

Wir können schon stolz sein, die CH gehörte zu den ersten Demokratien von Europe – d.h. Prinzip der Gleichheit aller Menschen auf Dauer politisch zu verankern. Gottfried Keller war zufrieden mit den neuen vaterländischen Verhältnissen, Freude über den Besitz der neuen Bundesverfassung.

«Achte jedes Mannes Vaterland, aber das deinige liebe!»

In seiner Novelle „Das Fähnlein der sieben Aufrechten“ erkennen wir den gesellschaftlichen Umbruch im 19. Jahrhundert und die Bürgerlichen Wert wieder:
Die sieben Freiheitsliebenden haben als Kind den Untergang des Ancien Regime erlebt und dann die Geburtswehen der neuen Zeit durchlebt. Sie kamen aus unterschiedlichen Verhältnissen unterschiedlichen Berufen. Sie setzten sich ein, ohne Lohn für ihre Freiheit, eine arte «Freiheitliche Miliz».

In der Novelle kommt dem ersten Eidg. Schützenfest, eine wichtige Bedeutung zu:

  • Es geht Gottfried Keller nicht darum, ob einer die Scheibe traf, sondern dass einer seinen Willen bekundete, für die Freiheit einzutreten.
  • Sinnbildlich war die Anrede des Fähndrich am Schützenfest mit Fahne und der Inschrift «Freundschaft in Freiheit». Damit meinte er: «Die Freundschaft in Person» aber auch die Freundschaft von Vaterlands wegen. «Es lebe die Freundschaft im Vaterlande».

Nun, das Schützenfest fand 1849 in Aarau–– es war effektiv das erste eidg. Schützenfest. Doch Gottfried Keller war nicht dabei. Er besuchte aber vorher schon viele Schützenfeste, wo es ihm sehr gefiel und wo er sogar einmal einen konservativen Ohrfeigte. Er liebte Schützen und v.a. Schützenfeste. Die Schützenfeste waren Feste der Radikalen und konservative Redner kamen nicht zu Wort. Die Fahne hatte dabei einen grösseren Symbolwert das die Waffe – und im Zentrum eines jeden Schützenfast stand fest die Fahnenburg. Die Schützenfeste verkamen aber auch z.T. zu sog Feste für den «Brüllradikalismus» wie Gottfried Keller es nannte – und das war eine Frage der Optik, da unser Gottfried Keller eher ein Schweiger war.

«Am Allgemeinen mitzudenken ist immer nötig, mitzuschwatzen aber nicht.»

Haben die Werte von Gottfried Keller auch heute noch Bedeutung? – bei uns, hier und jetzt – und für uns Hottinger?

«Der Mensch soll nicht tugendhaft, sondern natürlich sein, so wird die Tugend von selbst kommen.»

Dieses Zitat bedeutet, dass Freundschaft nur dann wahrhaftig und bedeutungsvoll sein kann, wenn sie in Freiheit gelebt wird. Freunde sollten einander die Freiheit geben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und ihre eigenen Wege zu gehen, ohne dass ihre Freundschaft darunter leidet. Keller betont jedoch auch, dass Freundschaft auch dann gut sein kann, wenn sie in schwierigen Umständen gelebt wird, solange sie auf Freiwilligkeit und Liebe beruht. Andererseits kann Freundschaft nicht existieren, wenn sie durch Zwang oder Gefangenschaft geprägt ist.

Schauen wir Zoifter uns doch hier und jetzt an. Wir treffen uns – wie die sieben Aufrechten – so wie wir sind – wir müssen einander nichts beweisen – es ist ein Zusammenkommen ohne Druck und Zwang. Das Fähnlein der sieben Aufrechten besprach nicht nur Politik, sondern auch häusliches Schicksal. Hatte einer Kummer und Sorge, so trug er es den anderen vor. Ob Jung oder Alt, ob katholisch oder reformiert, ob reich oder arm:

Wir alle sind die sieben Aufrechten!

Wir alle sind Freunde!

Wir alle leben diese Freundschaft in Freiheit!

Handeln wir alle zusammen jetzt und morgen für unsere Freundschaft in Freiheit

In dem Sinne:

«wöisch ich eus allne es Schöns Sechsilüüte»